Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

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Stimme zugezogen. In manchen Schutzgebieten wird die Schlichtung gering- 
fügiger Streitigkeiten ganz den Stammeshäuptlingen überlassen. In Kamerun 
sind für die Küstenstämme Eingeborenenschiedsgerichte eingesetzt, deren Mitglieder 
der Gonverneur ernennt und die auch zur Entscheidung wichtigerer Sachen zu— 
ständig sind. In Deutsch-Südwestafrika üben auf Grund der Schutzverträge noch 
einzelne Bastardhäuptlinge eine selbständige Gerichtsbarkeit aus. Ebenso ist in den. 
Residenturbezirken im Innern von Deutsch-Ostafrika und Kamernn die Hand- 
habung der Rechtspflege gegenüber den eingesessenen Völkerschaften zum größten 
Teil den Sultanen und sonstigen Machthabern überlassen. In Samoa sind für 
gewisse Prozeß= und Strafssachen die ordentlichen Gerichte, im übrigen eingeborene 
Richter zuständig, und endlich liegt in Kiantschon die Rechtsprechung über die 
chinesische Bevölkerung teils in den Händen der Gerichte, teils, für minder wich- 
tige Sachen, in denen der Bezirksamtmänner. 
Die Gerichtsverhandlungen (in Deutsch-Ostafrika „Schauri“, in den west- 
afrikanischen Kolonien „Palaver“ genannt) pflegen öffentlich und in Anwesen- 
heit der Parteien stattzufinden. Für das Verfahren fehlt es, abgesehen von Neu- 
gninea und Kiantschou, an näheren Vorschriften. Soweit möglich, werden die 
Grundsätze der heimischen Prozeßordnungen angewendet. Von einer Vereidigung der 
Zeugen wird regelmäßig Abstand genommen, da den Eingeborenen im allge- 
meinen das Verständnis für das Wesen des Eides mangelt. Nur gegenüber den 
Angehörigen höherstehender Völker, wie Arabern und Indern, wird in besonderen 
Fällen von dem Eide Gebrauch gemacht. Die Urteile werden in Spruchbücher ein- 
getragen. Nur in wichtigen Sachen werden Akten geführt und schriftliche Urteile 
abgefaßt. 
Eine Bernfung ist nur ausnahmsweise zugelassen, so in Deutsch-Ostafrika 
gegen Urteile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, wenn der Wert des Streitgegen- 
standes 1000 Rupien übersteigt, in Kamerun gegen die Urteile der Eingeborenen- 
schiedsgerichte und in Kiautschou gegen diejenigen der Bezirksamtmänner. Sonst 
besteht für Parteien, die sich durch ein Urteil beschwert fühlen, lediglich die Mög- 
lichkeit, den Gonverneur anzurufen, der eine nochmalige Verhandlung anordnen 
sowie Strafen erlassen und mildern kann. Strafurteile, durch welche schwerere 
Strafen, insbesondere die Todesstrafe, verhängt werden, sind in den afrikanischen 
Schutzgebieten dem Gonverneur von Amts wegen zur Bestätigung vorzulegen (in 
Dentsch-Neugninea nur Todesurteile). Das Bestätigungsverfahren ersetzt ge- 
wissermaßen die Berufung. Kann in den afrikanischen Schutzgebieten ausnahms- 
weise (z. B. im Falle eines Aufruhrs) die Bestätigung eines Todesurteils nicht 
vor der Vollstreckung eingeholt werden, so sind bei der Verhandlung zwei weiße 
Beisitzer zu beteiligen. Für Neuguinea ist die Zuziehung von zwei nicht ein- 
geborenen Beisitzern in allen Fällen vorgeschrieben, wo schwerere Verbrechen abzu- 
urteilen sind. 
Als Strafen gegen Eingeborene sind zunächst die in der Heimat üblichen zu- 
gelassen. An die Stelle der Zuchthausstrafe tritt für die afrikanischen Kolonien 
die Kettenhaft. Der Name erklärt sich daraus, daß die Sträflinge im Interesse 
der leichteren Beaufsichtigung bei der Arbeit im Freien zu mehreren mit Ketten 
aneinandergefesselt werden. Auch Einzelfesselung, wobei die Füße durch eine Kette- 
aneinandergeschlossen werden, ist statthaft und wird insbesondere gegenüber höher- 
stehenden Gefangenen, z. B. Indern, angewandt. Außerdem ist in den afrika- 
nischen Schutzgebieten und in Kiantschon auch noch die Prügelstrase in Gebrauch. 
über ihre Anwendung sind indes genaue Vorschriften erlassen. Sie darf nur unter 
Vorsichtsmaßregeln vollstreckt werden. Dem Vollzuge hat ein Enropäer beizu- 
wohnen. Es dürsen höchstens 50 (in Kiantschon 100) Schläge verhängt werden, 
und es darf bei jedem Vollzuge die Zahl von 25 Schlägen nicht überschritten wer- 
den. Die Vollstreckung geschieht mit einem vom Gouverneur genehmigten Instru- 
 
	        
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