Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

  
Zollaufschlag auf deutsche Waren eröffnete. Deutschland, das die kanadischen Rohprodukte 
(Getreide, Felle, Hänte, Mineralien usw.) nicht mehr entbehren kann, wagte nicht den 
Fehdehandschuh aufzunehmen, obgleich das Recht auf seiner Seite war. Sein kanadischer 
Handel hat diese Bedrückung acht Jahre ertragen müssen, und geriet immer mehr gegen 
England und andere Staaten ins Hintertreffen. Weniger politische Notwendigkeit 
als die Vorliebe der kanadischen Bevölkerung für gewisse dentsche Waren hat schließlich, 
die Aufhebung des Zollzuschlages veranlaßt. Natürlich wurde das ursprüngliche Ver- 
langen Deutschlands nicht erfüllt. Dieser Vorfall wirft anch ein bedenkliches Schlaglicht 
auf die zollpolitische Schwäche industrieller Staaten Rohstoffländern gegenüber. Es 
werden eben nur noch wenig Rohstoffgebiete erschlossen, aber gewaltig ist das Anschwellen 
industrieller Tätigkeit auf der ganzen Erde. Die Rohstoffstaaten selbst suchen sich möglichst 
eigene Industrie zu schaffen. Kanada befand sich also bei dem Uberangebot an Industrie- 
fabrikaten, die im Gegensatz zu den Rohstoffen die Tendenz fallender Preise zeigen, 
nicht in einer Zwangslage. Es war Deutschlands Glück, daß es wenigstens im Kali einen 
Rohstoff besitzt, mit dem es eine monopolistische Stellung auf dem Weltmarkt einnimmt. 
Haben auch weitere Kreise unseres Volkes die Schäden dieses Zollkrieges nur wenig 
empfunden, so kann sich doch die einfachste Phautasie ungefähr die Wirkung eines Zoll- 
kampfes mit der ganzen englischen Welt ausmalen. Sollte diese, wie es vor Jahren den 
Anschein hatte, sich einmal zollpolitisch zusammenschließen, so würde das schon für 
Deutschland schwere Schädigungen im Gefolge haben. Es ist ein Glück, daß das indu- 
strielle Mutterland seine Wünsche gegenüber den großen Selbstverwaltungskolonien, 
die als Rohstoffländer sich ein Monopol englischer Indnustriefabrikate nicht gefallen 
lassen wollen, nicht durchzusetzen vermochte. England hat sich mit Vorzugszöllen den 
anderen Industriestaaten gegenüber begnügen und diese haben sich Englands Be- 
vorzugung gefallen lassen müssen. 
Kann so der deutsche Welthandel zollpolitisch jederzeit bedroht werden, so steht er 
auch strategisch auf schwachen Füßen, da Deutschland nur einen einzigen kolonialen 
Stützpunkt, und zwar Tsingtau in Ostasien besitzt. Wer von Hamburg zu Schiff nach 
Ostasien fährt, muß dagegen eine Kette englischer Stützpunkte passieren. England selbst 
beherrscht mit Dover und anderen Kriegshäfen den?' Kanal. Die Eingangspforte des 
Mittelmeeres wird von den Kanonen Gibraltars bedroht. Im Meer liegt Malta als 
Kriegshafen der Mittelmeerflotte. Der Suezkanal ist ganz in englischen Händen, ebenso 
die Ausfahrt aus dem Roten Meer mit der Jusel Perim und Aden. Weiter führt die 
Reise über Britisch-Indien, Singapore und Hongkong. Uberall grüßt stolz der Union 
Yack, verkündend, daß wir nach wie vor in Großbritannien die Weltmacht zu erblicken. 
haben. Daß natürlich bei einem Kampfe Deutschlands gegen England die Entscheidung 
in der Nordsee fallen muß, erleidet keinen Zweifel. Hierfür haben alle Außenstütz- 
punkte nur problematischen Wert, diese sind aber auch nicht für heimische Kriegsereignisse 
errichtet. So sehr die Möglichkeit eines deutsch-englischen Krieges in Betracht gezogen 
werden muß, so ist es doch falsch, die deutsche Weltmachtstellung allein unter diesem 
Gesichtswinkel zu betrachten. Uberall und gegen alle Staaten gibt es Interessen zu ver- 
treten, für die eine Weltmacht in der Lage sein muß, an den jeweils bedrohten Punkten 
genügend Machtmittel zu vereinigen. Wie es einer Flotte ohne Stützpunkte ergehen 
kann, hat ja die Reise des unglücklichen Rojestwenskigeschwaders nach Ostasien gezeigt. 
So wenig angenehm diese Wahrheiten in die Ohren klingen, so fehlerhaft wäre 
ein Verschweigen oder Beschönigen. Nur durch ihre Kenntuis allein können die abseits 
stehenden Kreise des deutschen Volkes zum Verständnis imperialistischer Notwendig- 
keiten erzogen werden. Ein Staat, der wie Deutschland weltwirtschaftlich an zweiter 
Stelle steht, darf kolonialwirtschaftlich nicht auf der fünften stehen bleiben, hinter einem 
Kleinstaat wie den Niederlanden. Ebenso muß für die Verbreitung deutscher Art und 
Sprache Raum geschaffen werden. Dafür ist die Möglichkeit im Verhältnis zur Zahl 
des deutschen Volks, Bedentung seiner Kultur und dem Prozeutsatz seiner Gebildeten 
noch immer lächerlich gering. Wieviel geistige Krast verzehrt sich in lleinlicher Tätigkeit 
 
	        
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