Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

  
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letzteres jedoch im umgekehrten Fall seiner Welt= wie Großmachtstellung verlustig gehen. 
Das siegreiche England wäre den unbequemsten handelspolitischen Konkurrenten eine 
gute Weile los; das siegreiche Deutschland hätte mit einem Schlage die Vormachts- 
stellung auf der Erde erkämpft. Damit hätte die Not unserer akademischen Berufe, 
die bisher am wenigsten von Deutschlands Wohlhabenheit verspürt haben, ein Ende. 
Ein prächtiger Strom geistiger Kraft könnte, seiner Hemmungen frei, in Gebiete gelenkt 
werden, in denen vorher mehr sportlich als geistig geschulte Angelsachsen ihr Monopol 
genossen haben. Ebenso fände das Offizierkorps endlich ausreichende Gelegenheit, den 
heimischen Dienst mit dem kolonialen zu tanschen und ungekehrt. Ein Vorzug, den die 
englischen, französischen und holländischen Offiziere längst genießen. Handel und Industrie 
würden nene ungeheuere Entwicklungsmöglichkeiten vor sich sehen und — was am 
wichtigsten — auf danernd gesicherte Grundlage gestellt sein. Denn darüber kann nach 
den vorhergehenden Ausführungen kein Zweifel mehr sein, die Sicherheit für die Zukunft 
fehlt diesem Träger dentschen Wohlstandes vollkommen. Weltpolitische Defensive würde 
eine verhängnisvolle Untergrabung unseres gesamten Uberseehandels und den Ruin 
der auf tropische Rohstoffe angewiesenen Industrie zur Folge haben. Damit wäre 
Deutschland auf der Bahn unaufhaltsamen Niedergangs angelangt. 
Deutschland kann also sogar in absehbarer Zeit aus Selbsterhaltungstrieb zu 
diesem Waffengang gezwungen sein. Die Entscheidung liegt bei seinen Gegnern. Ent- 
schließen sich die englische und in ihrem Gefolge die französische Politik dazu, dem deutschen 
Expansionsdrang künftig den nötigen Spielraum zu gewähren, so wird der Krieg ver- 
mieden. Gewiß eine Lösung, die jeder Realpolitiker, dem der Krieg nur eine bittere 
Notwendigkeit sein darf, freudig begrüßen würde. Vorläufig sieht es aber nicht so aus. 
Frankreich und England erweisen sich als unersättlich. Ersteres obwohl es mit dem 
fauatisch erstrebten marokkanischen Protektorat bereits sein Fassungsvermögen über- 
schritten zu haben scheint. Großbritannien ist zurzeit beschäftigt, durch Aneignung der 
mesopotamischen Binnenschiffahrt und der letzten Häfen am Persischen Golf Deutschland 
der Früchte seines Bagdadbahnunternehmens zu berauben, und dieses täte weise, sich für 
die Zukunft mit der bitteren Kriegsnotwendigkeit energischer vertraut zu machen. 
Je mehr Deutschland sich „nm des lieben Friedeus willen“ zu Konzessionen ver- 
leiten läßt, desto eher wird die Kricgsnotwendigkeit eintreten, während bei entschiedener 
Haltung, ziemlich sicher mit englischem Zurückweichen gerechnet werden kann. England 
hat ja als glücklicher Besitzer der besten Teile der Welt tatsächlich fast nur zu verlieren, 
und wird den Krieg nach Möglichkeit vermeiden. Dagegen hat es ein Interesse daran, 
die jetzt so beliebten deutsch-englischen Verständigungskonferenzen zur Einlullung Deutsch- 
lands zu fördern. Englischerseits wird man recht gewiegte Politiker auf diesen Tagungen 
finden. Welcher ernsthafte deutsche Politiker aber vermöchte sich die Segnungen eines 
Friedens für das deutsche Volk unter Verzicht auf seine Zukunft vorzustellen. 
Ernsthaften Politikern braucht man freilich die hier niedergelegten Gesichtspunkte 
nicht mehr zu beweisen. Es kommt vielmehr darauf an, daß in weitesten Kreisen 
das Verständnis für Deutschlands Zukunftsaufgaben erwacht und, wie in England, 
schließlich das ganze Volk eine kraftvolle Uberseepolitik als Lebensfrage erkennen lernt. 
 
	        
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