Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

190 Zweites Buch. Vierter Abschnitt. $& 76. 
Die Sorge für die individuelle Gesundheit ist Sache des 
Individuums. Gegenstand der Verwaltungstätigkeit bildet nur die 
Aufgabe, die Bedingungen der allgemeinen Gesundheit herzustellen. 
Sie muß für gesunde Wohnungen, für Reinlichkeit in den Häusern 
und auf den Straßen, für gutes Wasser und gute Luft, für die Be- 
seitigung gesundheitsgefährlicher Einrichtungen im Gewerbebetrieb, 
für eine gesundheitsmäßige Einrichtung des Jugendunterrichts Sorge 
tragen. So verzweigen sich die [medizinalpolizeilichen] Gesichts- 
punkte durch das ganze Gebiet des Verwaltungsrechts; sie be- 
einflussen die Grundsätze der Baupolizei, Straßenpolizei, Begräbnis- 
polizei, Gewerbepolizei, des Unterrichtswesens. Auch die Über- 
wachung der Prostitution erfolgt aus gesundheitspolizeilichen wie 
aus sittenpolizeilichen Rücksichten. Ebenso sind die Bestimmungen 
über die Aufnahme fremder Kinder in Kost und Pflege, (sog. 
Kost- und Ziehkinder), wenn auch nicht ausschließlich, so doch 
zu einem wesentlichen Teil von Gesichtspunkten der Gesundheits- 
pflege beeinflußt®. Daneben kommen jedoch besondere Maßregeln 
in Betracht, die rein sanitätlicher Natur sind. Zu ihnen gehören: 
1. alle die Maßregeln, welche gegen eine bestimmte Krank- 
heit gerichtet sind, sei es, daß diese bereits ausgebrochen ist und 
nur der Weiterverbreitung entgegengetreten werden soll, sei es, daß 
man von vornherein ihre Entstehung zu verhindern bezweckt, also: 
a) die Seuchen[polizei], 
b) die Impfung), 
2. die Überwachung des Verkehrs mit Nahrungs- 
und Genußmitteln, sowie mitGebrauchsgegenständen, 
3. die Sorge für das Heilpersonal und die Heilanstalten. 
2. Seuchen[polizei]?. 
S 76. 
Seuche (Epidemie) ist eine Krankheit, die in einer bestimmten 
Gegend massenhaft auftritt und sich durch Ansteckung weiter ver- 
breitet. Seuchen[polizei] ist der Inbegriff der Maßregeln, die 
beim Ausbruch einer Seuche ergriffen werden, um ihre weitere Ver- 
breitung zu verhindern. Derartige Maßregeln haben teils den Verkehr 
zwischen den einzelnen Ländern und Orten zum Gegenstande, teils 
besitzen sie einen rein lokalen Charakter. Zu ersteren gehören 
Einfuhrverbote und Einführung der Paßpflichtigkeit, Anordnungen, 
5 Die Pflege und Erziehung fremder Kinder kann entweder gegen Ent- 
eld oder unentgeltlich erfolgen. Im ersteren Falle hat sie den Charakter eines 
ewerbebetriebs. Doch finden die Bestimmungen der G.O. darauf keine An- 
wendung (Gew.O. $ 6). Es besteht daher die Möglichkeit, landesherrliche Vor- 
schriften darüber zu erlassen. Diese Vorschriften, die zum kleineren Teil auf 
Landesgesetzen, in der Regel auf orts- oder bezirkspolizeilichen Verordnungen 
beruhen, haben die Übernahme fremder Kinder in Erziehung und Pflege in der 
Regel von vorgängiger Genehmigung abhängig gemacht. Bayr. Pol.St.G.B. 
Art. 41. Bad. Pol.St.G.B. $ 98a. Hess. G. vom 10. Sept. 1878. 
1 Finkelnburg, Art. Volksseuchen, R.L. 8, 1159; Jolly, Art. Seuchen- 
polizei, V.R.W. 2. 450. 
 
	        
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