244 Zweites Buch. Sechster Abschnitt, $ 96.
vereinsvertrages den Charakter von reichsgesetzlichen Vorschriften S.
Da sie Gegenstände betreffen, die nicht unter die allgemeine Kom-
petenz des Reiches fallen, so können sie nicht im Wege der ein-
fachen Gesetzgebung, sondern nur in dem der Verfassungsänderung
aufgehoben werden. Die Exemtionen Oldenburgs und Schaumburg-
Lippes müssen als Sonderrechte nach Analogie des Art. 78 Abs. 2
der Reichsverfassung behandelt werden ?°.
Die meisten, namentlich alle größeren Staaten haben die Wege-
gelder auf den Staatsstraßen gänzlich beseitigt!°. Da, wo sie bei-
behalten sind, ist die Höhe derselben durch besondere Tarife geregelt.
Auf Gemeindewegen werden derartige Gebühren nur ausnahmsweise
erhoben. Zu einer solchen Erhebung ist auf den Gemeinde- und
Kreiswegen staatliche Genehmigung erforderlich. Auf Privatchausseen
findet regelmäßig die Erhebung von Chausseegeld, allerdings eben-
falls auf Grund einer besonderen staatlichen Bewilligung statt.
Die Wegegelder haben den Charakter öffentlicher Ab-
gaben. Sie sind Gebühren für die Benutzung von staatlichen
oder kommunalen Anstalten !!. Die Verpflichtung zur Zahlung der-
selben beruht auf öffentlichen Anordnungen der staatlichen oder
kommunalen Organe, Gesetzen, Verordnungen oder Statuten, nicht
etwa auf einem vertragsmäßigen Verhältnis, das zwischen dem Inhaber
der Straße und den dieselbe benutzenden Personen besteht. Die
Erhebung erfolgt entweder auf Rechnung des zum Bezuge berech-
tigten Subjektes durch angestellte Beamte (Chausseegelderheber,
Chausseegeldeinnehmer) oder im Wege der Verpachtung. Die Pflicht
zur Zahlung der Abgaben entsteht beim Passieren der betreffenden
® R.Verf. Art. 40.
® Vgl. Meyer-Anschütz $ 208; Haenel, Vertragsmäßige Elemente der
deutsch. freichsverf 8.143 ff.; v. Roenne, Staatsr. des Deutschen Reichs. $ 92.
Bd. II, Abt. 1, S. 205 ff.; Delbrück a.a.0. 8.85. Dagegen sieht Haenel,
1, 56, N. 18, Nr. 6 und S. 624, N. 4 die Bestimmung jetzt als eine solche an,
die unter die Gesetzgebung des Reiches fällt, weil jede den Maßstab der Gebühr
überschreitende Kommunikationsabgabe die rechtliche Natur des Zolles habe.
Die Wegegelder sind aber in der Tat nichts anderes als Gebühren, und der
Charakter der Gebühr ist unabhängig von der Höhe des Satzes. Zweifellos
wurden die Wegegelder in früherer Zeit als Zölle aufgefaßt, aber im Sinne der
modernen Gesetzgebung können sie als solche nicht gelten. Die Kompetenz
des Reiches über Wegegelder ist daher aus dessen Zollgesetzgebung nicht her-
zuleiten. Die in N. 7 erwähnten auf Sachsen und einzelne thüringische Staaten
bezüglichen besonderen Bestimmungen sind im Gegensatz zu Delbrück a.a.0.
3. 86 nicht als Sonderrecht zu behandeln, sie gewähren den betreffenden
Ländern keine Exemtion von den Vorschriften des Zollvereinsvertrages, sondern
ühren nur mit Rücksicht auf das verschiedene Wegemaß eine anderweite
Berechnungsart ein, durch die eine irgend in das Gewicht fallende materielle
Verschiedenheit von den Sätzen des preußischen Tarifes nicht herbeigeführt wird.
'° So namentlich Preußen (G. vom 27. Mai 1874), Bayern, Sachsen (G. vom
24. Juni 1884), Württemberg, Baden (provis. Ver. vom 22. April 1830, genehmigt
durch Beschlüsse der Kammern vom 30. August 1831 und 2%. September 1831),
Braunschweig. Da in Württemberg und Baden auf den Staatschausseen Chaussee-
zeld nicht erhoben wird, so ist diesen Staaten durch die Schlußprotokolle zu
en Zollvereinsverträgen die Befugnis eingeräumt, die auf diesen Straßen
erhobenen Pflastergelder auch ferner besteben zu lassen, Delbrück a. a. 0.8.86.
1 [Vgl. preuß. Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 $ 4 Abs. 1, vgl.
Ans < h 3 i vn ochow, Organisationsgesetze der inneren Verwaltung in Preußen®
1 S. .
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