Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

20 Erstes Buch. $ 5. 
Den Gemeinden und ihren Organen ist die Erfüllung wichtiger Auf- 
gaben auf den verschiedensten Gebieten des Staatslebens übertragen. 
Sie werden sowohl im Bereiche der innern, als in dem der Militär- 
und Finanzverwaltung tätig: bei Ausübung der Ortspolizei, bei der 
Armenpflege, dem Schulwesen, dem Wegebau, der Krankenver- 
sicherung, der Führung der Standesregister, bei den Militärlasten, bei 
der Verwaltung ihrer eigenen Finanzen, bei der Einschätzung und 
Veranlagung zu den Staatssteuern. In bezug auf die Verfassung der 
Gemeinden stehen sich zwei Systeme gegenüber®. Das erste, 
welches sich im Anschluß an die preußische Städteordnung vom 
19. November 1808 entwickelt hat, charakterisiert sich dadurch, daß 
die Verfassung für Städte und Landgemeinden eine ver- 
schiedene ist. In den Städten besteht für die Verwaltung ein 
kollegialisch organisierter Magistrat mit einem Bürgermeister an der 
Spitze, dem als Vertreter der Bürgerschaft das Kollegium der Stadt- 
verordneten zur Seite tritt. In den Landgemeinden wird die Ver- 
waltung von einem Einzelbeamten (Bürgermeister oder Schulze) ge- 
führt, neben ihm steht entweder die Gemeindeversammlung oder ein 
gewählter Gemeindeausschuß?. Dieses System ist namentlich in dem 
Norden und Osten Deutschlands verbreitet; es besteht in den öst- 
lichen Provinzen Preußens, den Provinzen Hannover, Westfalen, 
Schleswig-Holstein und [Hessen - Nassau], dem Königreich Sachsen, 
Braunschweig, Oldenburg, Lippe und Schaumburg-Lippe, ferner 
in Sachsen-Koburg- Gotha [Sachsen- Altenburg, Anhalt] und in 
Bayern diesseits des Rheins. Das zweite System, welches seine 
Verbreitung wesentlich unter dem Einfluß der französischen Ge- 
setzgebung erlangt hat, kennt nur eine einzige Art der Ver- 
fassung, welche sowohl für Städte als für Landgemeinden gilt. 
Dieses System tritt in einer doppelten Gestaltung auf. Nach der ersten 
Gestaltung werden die Verwaltungsgeschäfte von einem Bürgermeister 
mit einem oder mehreren Beigeordneten geführt; die Befugnisse der 
Gemeinderertretung übt ein gewählter Gemeinderat aus. Diese Form 
der Gemeindeverfassung ist im westlichen und mittleren Deutschland 
herrschend, namentlich in der preußischen Rheinprovinz und der 
bayrischen Pfalz, ferner in Elsaß-Lothringen, Hessen, Sachsen-Weimar, 
den reußischen und schwarzburgischen Fürstentümern, [Sachsen-Mei- 
ningen] und Waldeck. Nach der zweiten Gestaltung ist zwar die Ver- 
fassung für Stadt und Land gleichfalls eine einheitliche, aber sie nähert 
sich mehr der städtischen als der ländlichen Verfassung, die Verwaltung 
wird von einem kollegialen Gemeinderat (Stadtrat) mit einem Bürger- 
meister (Schultheiß) an der Spitze geführt; als Gemeindevertretung 
fungiert ein Gemeindeausschuß (Bürgerausschuß), an dessen Stelle 
in kleinen Gemeinden die Gemeindeversammlung tritt. Diese Ge- 
staltung kommt in Württemberg und Baden vor. Allerdings gelten 
jetzt sowohl in Baden als im Regierungsbezirk Wiesbaden besondere 
Städteordnungen, aber die Verfassung ist für beide Arten der Ge- 
meinden wesentlich gleichmäßig gestaltet. Neben diesen Organen 
6 (Vgl. Meyer-Anschütz $ 118.] 
? [Die jetzt in Kraft befindlichen deutschen Gemeindegesetze sind zu- 
sammengestellt bei Meyer-Anschütz $ 110. Anmerkung.]
	        
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