Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

438 Zweites Buch. Sechster Abschnitt. $ 156. 
Diese Vorschriften der Gewerbeordnung setzen aber nur ein 
Minimum von Garantien fest, welches seitens der Einzelstaaten zum 
Schutze der Individualrechte und Individualinteressen gewährt werden 
muß. Den Landesgesetzgebungen ist nicht verwehrt, weiter zu gehen, 
insbesondere neben den zwei reichsgesetzlich notwendigen Instanzen 
noch eine dritte herzustellen!*. Den Landesgesetzgebungen steht 
ferner die Befugnis zu, die Erledigung der betreffenden Fragen einer 
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorzubehalten. Zu einer solchen 
eignet sich namentlich die Frage, ob für einen Gewerbebetrieb eine 
Konzession überhaupt erforderlich ist und ob die gesetzlichen Voraus- 
setzungen für die Verweigerung einer Konzession oder für die Unter- 
sagung eines Gewerbebetriebes vorliegen, vorausgesetzt, daß es sich 
bei letzteren um objektiv feststehende Tatbestände (Befähigungs- 
nachweise, strafgerichtliche Urteile u.s.w.), nicht um Verhältnisse 
handelt, deren Beurteilung dem subjektiven Ermessen der Behörde 
überlassen ist. Die Landesgesetzgebungen haben jedoch das Ver- 
waltungsstreitverfahren auch bei Fragen der letzteren Art in ziemlich 
weitem Umfange. zugelassen. 
c) Polizeiliche Beschränkungen der Ausübung des stehenden 
Gewerbebetriebes. 
$ 156. 
Auch in bezug auf die Ausübung des Gewerbebetriebes spricht 
die Vermutung für Freiheit. Beschränkungen bestehen hier eben- 
falls nur insoweit, als sie ausdrücklich festgesetzt sind. Insbesondere 
begreift die Befugnis zum stehenden Gewerbebetrieb das Recht in 
sich, Gesellen, Gehilfen, Arbeiter [jeder Art] und Lehrlinge in be 
liebiger Zahl anzunehmen!, Die Befugnis zum stehenden Gewerbe- 
betrieb ermöglicht ferner die Ausübung des Gewerbes innerhalb und 
außerhalb des Ortes der Niederlassung®. Der Gewerbebetrieb eines 
selbständigen Gewerbetreibenden kann nach seinem Tode für Rechnung 
seiner Witwe oder minderjährigen Erben fortgesetzt werden, ohne 
daß es dazu bei konzessionspflichtigen Gewerben der Erneuerung 
der Konzession bedarf®. Eine Entziehung der Konzession ist bei 
diesen Personen aus denselben Gründen wie beim ursprünglichen 
Inhaber zulässig. 
Ein Gewerbebetrieb kann auch durch Stellvertreter aus 
geübt werden *. Der Stellvertreter unterscheidet sich vom selbständigen 
(tewerbetreibenden dadurch, daß er das Gewerbe nicht in eigenem 
4 Seydel, Annalen S. 566, preuß. 0.V.G. 1, 280; bayr. V.G.H. 1, 12 
(Reger 1, 118). [Abgesehen von Ermessensfragen kann in Bayern der Ver- 
waltungsgerichtshof als dritte Instanz angerufen werden, wenn das Verfahren 
nach Gew.O. $$ 20 u. 21 einzutreten hat. Vgl. darüber Landm.-Rohm. 
3 20°.] A. A.: württ. V.G.H. Reger 6, 162; [24, 16]. 
' fPignes Recht ist durch zahlreiche Bestimmungen der Gew.O., insbesondere 
«durch die Novelle von 1897, und durch das Kinderschutzgesetz vom 30. März 1903 
nicht unerheblich eingeschränkt.] 
2 Gew.O. $ 42. . 
2 Gew.O. $ 46. —[Vel: Schultzenstein, Persönliche und gewerbliche 
Konzession und Erbrecht. Verw.-Arch. 10, 118. 
* Gew.0.8$ 45—47. — [Kähler, Stellvertretung im Gewerbebetrieb. 1894.]
	        
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