Die Machtpolitik Frankreichs 329
Rußland bestanden und noch bestehen, sind gewiß viel tiefer als die zwi-
schen England und Frankreich, ja wahrscheinlich auch als die zwischen
England und Deutschland. Trotzdem gelang es der gemeinsamen Ar-
beit englischer und französischer Diplomaten 1907 eine Verständigung
zwischen Rußland und England herbeizuführen, die die zwischen den
beiden Mächten vorhandenen Gegensätze zwar nicht ausglich, aber doch
überbrückte. Es ist heute nicht möglich festzustellen, wem das Haupt-
verdienst am Zustandekommen der „Triple-Entente“ gebührt, das Haupt-
interesse daran hatte jedenfalls Frankreich. Der Verband der drei
Mächte wurde durch den gemeinsamen Haß gegen Deutschland zusam-
mengehalten. Nach der Absicht der Franzosen — und diese allein kommt
für uns hier in Frage — sollte die „Triple-Entente“ ebenso wic zuvor
das Bündnis mit Rußland der Verwirklichung der Revancheidce die-
nen. Die Entente wurde noch ergänzt durch militärische Abmachungen
mit England, die lediglich gegen Oentschland gerichtet waren, und einen
Notenaustausch (1912), der formell kein Bündnis war, in Wirklichkeit
aber — zusammen mit der Militär= und Marine-Konvention — Eng-
land zum Beistande Frankreichs verpflichtete. Es war so der französi-
schen Politik nach fast vierzigjährigen Bemühungen gelungen, die mäch-
tige Koalition, die das Deutsche Reich zerschmettern sollte, zustande
zu bringen.
II.
Die europäische Politik Frankreichs erschöpfte sich aber keineswegs
im Abschluß des Bündnisses mit Rußland und des Einvernehmens
mit Großbritannien. Es war zwar für Frankreich nach den Ereignissen
von 1870/71 ausgeschlossen, Rheinbundpläuc wiederaufzunehmen, wie
es noch Napoleon lII. gelegentlich versucht hatte. Man unterstützte aber
eifrig die Deutschland feindliche Propaganda im Reichsland; wicweit
sonst noch staatsfeindliche Bewegungen innerhalb des Deutschen Reiches
und auch in der verbündcten habsburgischen Monarchie von französi-
scher Seite unterstützt worden sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Es
ist merlwürdig, wic intelligente Franzosen auch im Privatgespräch die
Einigkeit der deutschen Fürsten und Stämme in Zweifel zogen und dazu
geneigt waren, gelegentliche partikularistische Außerungen einzelner
Personen und Zeitungen zu überschätzen. In noch vicl höherem Grade
gilt dies gegenüber den Zwistigkeiten der Völker der Donaumonarchie,
von denen namentlich die Sschechen sich zeitweilig mindestens beson-
derer Sympathic der Franzosen erfreuen durften.