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erdenklichen Schaden zuzufügen. Die englischen Seehandelskreise hatten
in den neunziger Jahren einen wesentlich anderen Standpunkt vertreten,
nämlich den, daß England, das stets die meisten schwimmenden Werte be-
sitze, das Seebeuterecht mehr fürchten müsse als schätzen. Diesen Stand-
punkt zur englischen Interessenfrage hat sich die deutsche stark schrift-
stellernde Marine a. D. nicht angeeignet, sie kämpft daher für das Seebeute-
recht. Die englischen Handelskreise waren verstummt, gehen neuerdings
aber mit frischen Kräften wieder im Sinne der Aufhebung vor.
Nun ist eine neue deutsche Schrift erschienen: Dr. HUTTENHEIN, Die
Handelsschiffe der Kriegführenden, das die ganze Frage
aufs neue übersichtlich darstellt. Der Verfasser behandelt das Geschicht-
liche kurz und geht dann zu der Frage über, was zu geschehen habe. Da-
bei schließt er sich der Züricher Resolution des Instituts für internatio-
nales Recht im Jahre 1877 an, die das neutrale wie das feindliche Privat-
eigentum unter neutraler oder feindlicher Flagge für unverletzlich erklärt,
und nur die dem Kriege dienenden Sachen und Schiffe der Wegnahme
unterworfen sehen will. Er erkennt an, daß mit der Stimme Englands das
Seebeuterecht steht und fällt. Zu weit scheint er mir mit dem Worte zu
gehen, daß „mit der Scheiterung des Seebeuterechts die zum Schutze des
auf See schwimmenden Privateigentums notwendigen Kriegsschiffe entbehr-
lich werden®. Die Fälle des Einfalls in ein feindliches Land, der Blockade,
der Abfangung von Kriegskonterbande, der Deckung von Truppentranspor-
ten nach überseeischen Ländern und Kolonien werden auch dann noch die
Mächte zum Wetteifer in Kriegsrüstungen anspornen. Aber viel wäre aller-
dings gewonnen. Sehr richtig schildert HUTTENHEIN den machtvollen Ein-
fluß, den die Vereinigten Staaten in dieser Sache erlangen können, wenn
sie der möglichen Störung ihres Handels entgegentreten. Wenn sie auch
einen Mangel an Lebensmitteln nicht zu fürchten haben, so ist doch ihre
Ausfuhr bedroht. Diese geht zum allergrößten Teil zur See vor sich, sie
betrug 1911/12 2164 Millionen Dollars. Die Ver. St. würden an ihrer Baum-
wolle ersticken, wenn die Ausfuhr über See gehindert wäre.
Sehr gründlich untersucht HÜTTENHEIN die einzelnen Seiten der ganzen
'Rechtafrage: die örtlichen und zeitlichen Einschränkungen des Seebeute-
rechts, die feindliche Eigenschaft der Handelsschiffe und Waren, den Flag-
genwechsel, das Durchsuchungsrecht, die Zerstörung feindlicher Prisen, die
Unterbringung in einem neutralen Hafen. Einen eigenen Abschnitt bildet
die — glücklicherweise obsolet werdende — Kaperei und die vielleicht sehr
aktuell werdende Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe.
Die in dem soeben berührten Buche auf wenigen Seiten nur kurz be-
handelte Frage der Umwandlung von Kauffahrteischiffen
in Kriegsschiffe bildet den alleinigen Gegenstand einer Abhandlung
‘von Dr. HERMANN WILLMS in der Sammlung P. Zorns und Stier-Somlos
von Abhandlungen aus dem Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht (Bd. XI,