108 Zauoeiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 28
Achter Abschnitt. Der Landtag.
§ 28. Allgemeines. I. Das Verfassungsgesetz von 1911 hat dem Reichs-
lande an Stelle des früheren Landesausschusses den Landtag gebracht und das Land
sonach auch in dieser Beziehung den übrigen deutschen Staaten äußerlich gleichgestellt.
Der Landtag leitet seine Kompetenz lediglich von der Verfassung ab und handelt
daher weder im Auftrag des Volkes noch des Kaisers. Nur die Eröffnung und
Schließung des Landtags, mithin die formellen Voraussetzungen seiner Tätigkeit müssen
vom Kaiser gesetzt werden; er ist ein Staatsorgan, kann aber nicht als Korpo-
ration, als juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts angesehen werden.
Der Landtag ist daher auch nicht vermögensfähig. Das dem Landtage etwa zugewiesene
Vermögen (Büchergeschenke für die Bibliothek) ist Staatsgut mit bestimmter Zweck-
widmung. Die am Landtag beschäftigten und von den Präsidenten der Kammern er-
nannten Bureaubeamten sind reine Staatsbeamte.
Bei Streitigkeiten über die Befugnisse des Landtags oder einer der beiden
Kammern handelt es sich nicht um eine Entscheidung über subjektive Rechte, sondern
allein um die Aufrechterhaltung der objektiven Rechtsordnung 1. Gegebenenfalls hat
hier auf Anrufen eines Teiles der Bundesrat eine gütliche Ausgleichung herbei-
zuführen, oder es ist, wenn dies nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung Abhilfe
zu schaffen (Art. 76 Abs. 2 R. V.).
Bezüglich der Frage nach der Zuständigkeit des Landtags ist zu beachten,
daß er zwar Staatsorgan ist, aber keinen direkten Anteil an der Staatsgewalt als
solcher hat. Er ist überhaupt keine Behörde im staatsrechtlichen Sinne. Er kann
daher auch keine Akte vornehmen, die Ausfluß der hoheitlichen Gewalt des Staates
sind, wie dies zum Beispiel im Machtbereich des Kaisers oder einer Verwaltungs-
behörde liegt. Die Kammern können keine Verfügungen treffen oder Bekanntmachungen
erlassen. Sie sind insbesondere auch nicht befugt, behufs Untersuchung gewisser Vor-
gänge im Staatsleben Kommissionen zu ernennen, welche als Zeugen Privatpersonen
oder behördliche Organe zu vernehmen hätten. Auch ein sogenanntes Recht der
Adresse an den Kaiser steht dem Landtag nicht zu; wenn daher auch die tatsächliche
Einreichung einer Adresse wohl nicht verhindert werden kann, so entfällt doch jedweder
Anspruch auf eine Beantwortung derselben.
Die Formen der Tätigkeit des Landtags bestehen in einer gewissen Aufsicht
und Kontrolle der gesamten Staatsverwaltung und in der verfassungsmäßig vor-
geschriebenen Teilnahme an besonders wichtigen Staatsakten. Neben diesen staats-
rechtlichen Befugnissen hat der Landtag auch gewisse kollegiale Befugnisse, d. h.
solche, die zur Regelung des internen Geschäftsganges und der Disziplin erforderlich sind.
1. Die staatsrechtlichen Befugnisse können sich in folgenden Formen
äußern:
a) in der Mitwirkung beim Erlaß von Gesetzen;
b) als Genehmigung oder Zustimmungs; sie tritt ergänzend zu einem von einem
anderen Staatsorgan (Kaiser, Statthalter) vorgenommenen Regierungsakt hinzu. Wesent-
lich ist die Genehmigung für das rechtliche Zustandekommen des fraglichen Staats-
aktes nicht. Darin liegt der wesentliche Unterschied der Genehmigung von der Mit-
wirkung bei dem Zustandekommen eines Gesetzes; ihr Ausbleiben macht den betreffenden
Akt nicht etwa unwirksam, begründet jedoch auf alle Fälle eine besondere Verantwort-
lichkeit der Regierung. Das elsafelothlingische Verfassungsgesetz erwähnt spezielle Fälle
der Genehmigung in den §§ 12 und 23. .
c) Die Form der Kenntnisnahme wird angewendet, wenn dem Landtage
die Befugnis zusteht, von der Regierung über einzelne ihrer Handlungen Auskunft zu
verlangen.
" 290 Walz, Badisches Staatsrecht S. 59 f. Eine subjektive Berechtigung kann in Frage
kommen, insoweit es sich z. B. um die Zulassung der einzelnen Kammermitglieder zur Bildung einer
Kommission, eines Organs oder um Anerkennung ihrer Mitgliedschaft handelt.