110 Zuweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 29
Getrennt sind auch die Beratungen der beiden Kammern; ein einheitliches Auf-
treten derselben findet nur aus zeremoniellen Anlässen (Eröffnung, Schließung usw. ) statt.
III. Die Zusammensetzung der Ersten Kammer ist in § 6, diejenige der Zweiten
Kammer in § 7 Verfassungsgesetz geregelt. Niemand kann Mitglied beider Kammern
sein (Grundsatz der Inkompatibilität § 19 II). In rechtlicher Beziehung sind die
Mitglieder beider Kammern einander grundsätzlich gleichgestellt. Die Abgeordneten
genießen zunächst die sogenannte parlamentarische Immunität!?, d. h.
es darf kein Mitglied des Landtags zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder
wegen der in Ausübung seines Berufs getanen Außerungen gerichtlich oder disziplinarisch
verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden
(5 20)5.
Zum Schutze der Tätigkeit des Landtags sind im R. St.G.B besondere Straf-
bestimmungen gegeben (§8 105, 106 St.G. B.)
§ 29. Die Erste Kammer. I. Die Erste Kammer setzt sich aus drei verschiedenen
Kategorien von Mitgliedern zusammen. 1. Die erste Kategorie setzt sich zusammen aus
Personen, die kraft ihres Amtes die Mitgliedschaft erwerben; es gehören hierher
die Bischöfe zu Straßburg und Metz, an deren Stelle im Falle der Sedizvakanz der
älteste Bistumsverweser trit, der Präsident des Oberkonsistoriums der Kirche Augs-
burgischer Konfession, der Präsident des Synodalvorstandes der reformierten Kirche
und der Präsident des Oberlandesgrichts zu Kolmar. 2. Die zweite Kategorie wird
aus Personen gebildet, die durch Körperschaften gewählt werden, und die vom Gesetz
irrtümlicherweise als „Vertreter“ der betreffenden Körperschaften bezeichnet werden:
ein Mitglied der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg 1; ein von den (drei) israeli-
tischen Konsistorien aus ihrer Mitte gewähltes Mitglied; je ein Mitglied aus der
7 §.20 V. G. entspricht genau dem Art. 30 R.V., der wieder mit § 11 R. Str. G. B. inhaltlich
übereinstimmt.
68 Indessen darf die parlamentarische Redefreiheit nicht als fubjektives Recht weder des einzelnen
Abgeordneten noch des Parlaments als solchem aufgefaßt werden; es handelt sich vielmehr nur um
Reflexwirkungen objektiver Rechtssätze. So Laband I. And. Ans. Jellinek, Subj. öff. N.
S. 171; Hubrich, Die parlamentarische Redefreiheit und Disziplin 1899; Meyer-Anschütz,
S. 334: Es handelt sich um objektive Rechtssätze, die aber dem einzelnen Bolksvertreter auch subjek-
tive öffentliche Rechte gewähren. Die parlamentarische Redefreiheit steht auch den Aebgeordneten zu,
deren Wahl beanstandet ist. Ministern oder Regierungsbevollmächtigten, die zugleich Mitglied einer
der Kammern des Landtages sind, steht die parl. Imm. nur so weit zu, als sie in ihrer Eigenschaft
als Volksvertreter sprechen (vgl. v. Bar, Gesetz u. Schuld 1 S. 258). Alle Außerungen in Aus-
übung des Berufs, inebesondere Abstimmungen des Abgeordneten sind von Verantwortung
Dritten gegenüber frei. Die Ausübung des Berufs ist durch die Eröffnung und Schließung des
Landtags begrenzt. Während der Vertagung tritt rine Unterbrechung ein, es sei denn, daß in der
Zwischenzeit Kommissionssitzungen stattfinden, an denen der Abgeordnete teilnimmt. (Kleinfeller
in der Vergl. Darst. d. deutsch, u. ausl. Strafrechts 1 S. 323 f.) Nicht unbedingt notwendig ist,
daß die Außerung im Landtagsgebäude selbst gefallen ist; es genügt z. B. eine Außerung gelegentlich
einer Deputation zum Monarchen, dagegen nicht eine solche bei einem sog. parlamentarischen Diner.
Unerheblich ist, ob der Abg. zur Sache gesprochen oder Fernliegendes absichtlich in seinen Vortrag
hereingezogen hat. Auch schriftliche und gedruckte Außerungen des Abgeordneten, z. B. Kommissions-
berichte, gehören hierher, ebenso Gesten und konkludente Handlungen, dagegen nicht Gewalttätigkeiten,
denn diese sind keine Außerungen, z. B. Schießen auf einen Abg. oder Bewerfen desselben mit Unrat.
Es handelt sich. bei der parlam. Immunität um einen persönlichen Schuldausschließungsgrund
zugunsten des betr. Abgeordneten: es können sich weder strafrechtliche noch zivil= oder disphmor-
rechtliche Folgen daran anknüpfen. Dagegen wird durch die parlam. Immunität die Zeugenpflicht
des Abgeordneten nicht berührt. Laband, D.J.Z. 1906 S. 953; Löwe-Rosenberg, Komm.
J. Str. P. O. § 49. Also ist auch das Zeugniszwangsverfahren auf Grund von § 69 Str.P.O. u.
390 C. P.O. zulässig. Während der Sitzungsperiode muß indessen auf Verlangen des Landtags die
Zeugniszwangshaft ausfgehoben werden. Vgl. auch Roth, D.J.Z. 1906 S. 1361
(§ 29) 1 Die Wahl desselben erfolgt durch das Plenum der Universität; es find also auch die außer-
ordentlichen Professoren wahlberechtigt; wählbar sind aber nur diejenigen ordentlichen Professoren,
welche zum Halten von Vorlesungen und zur Übernahme von Univerfitätsämtern verpflichtet find,
d. h. also die außerordentlichen und die emeritierten ordentlichen Professoren besitzen das passive
Wahlrecht nicht. Vgl. Wahlordnung v. 15. Aug. 1911 (G.Bl. 59).
* Wahlordnung v. 15. Aug. 1911 (G.Bl. 62).