Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 31 Sicherung der Ausübung des Wahlrechts und Wahlprüfungsverfahren. 121 
  
ständen des Einzelfalls die freie Entschließung der Wähler über ihre Stimmabgabe zu beeinträchtigen 
geeignet ist, ein derartiges Verhalten die Ungültigkeit der Wahl herbeiführen kann. Es kommt also 
hierbei namentlich die Tätigkeit während des Gottesdienstes und von der Kanzel herab in Betracht 17. 
Jc) Arbeitgeber, Fabrikleiter u. a. Auch inwieweit die Tätigkeit von Fabrikleitern 
geeignet ist, die Arbeiter unzulässig zu beeinflussen, hat das O.L.G. erwogen. Es macht hierbei aber 
einen etwas gekünstelten Unterschied, indem es aufstellt, der Geistliche beuge den Willen des Wählers, 
der Fabrikleiter (herr) errege dagegen die Furcht bei seinen Untergebenen, eine den Wünschen der 
Fabrikleitung entgegenstehende Abstimmung könne irgendwie bekannt werden (7.). Da aber dem Eintritt 
eines solchen Ereignisses die Maßnahmen zur Geheimhaltung der Wahl entgegenständen, müsse im Gegen- 
satz zur geistlichen Wahlbeeinflussung hier der Nachweis erbracht werden, daß ein solcher Einfluß tat- 
sächlich stattgefunden habe. Als eine derartige unzulässige Beeinflussung hat das O.L.G. es angesehen, 
wenn nachgewiesenermaßen auf Veranlassung des Direktors einer größeren Fabrik vier Vorarbeiter es 
versucht haben, unter Ausbeutung der aus dem Arbeitsverhältnis sich ergebenden Abhängigkeit und 
unter Androhung wirtschaftlicher Nachteile auf eine Anzahl von Wählern einen Druck auszuüben, 
der an sich geeignet sein konnte, die Freiheit der Abstimmung ernstlich in Frage zu stellen. 
3. Bei dem Verfahren zur Berechnung der gültigen Stimmenzahlen ist das O.L.G. 
davon ausgegangen, daß die in nichtigen Wahlhandlungen abgegebenen Stimmen jedem Kandidaten, 
auf den sie lauten, in Abzug zu bringen, bzw. daß die möglicherweise beeinflußten, unfrei abgegebenen 
Stimmen (die das Gericht zahlenmäßig abzuschätzen hat) dem Gewählten abzuziehen und dem Gegen- 
kandidaten zuzuzählen sind, und daß dann an der Hand der neuen Zahlen geprüft werden muß, ob 
der Gewählte nach diesem Verfahren noch die erforderliche Mehrheit besitzt. Dieser Grundsatz gilt 
gleichmäßig für Haupt= und Nachwahlen. Für letztere wurde außerdem noch besonders dahin er- 
kannt, daß alle Stimmen nicht wahlberechtigter Personen dem Gewählten im Hinblick auf die 
Möglichkeit, daß er sie auf sich vereinigt habe, abzuziehen seien, daß aber der Gegenkandidat, falls 
ihm hierdurch die Stimmenmehrheit zufalle, nicht als gewählt erklärt werden dürfe, da für ihn die 
gleiche Möglichkeit bestehe 18. 
4. Von den sechszehn Einspruchsverfahren betraf nur ein einziges eine Wahl zur Ersten 
Kammer. Es hatten an der Wahl der Handwerkskammer drei Wähler teilgenommen, welche 
wegen Aufgabe ihres Handwerksbetriebs mit der Wählbarkeit zur Handwerkskammer kraft Gesetzes 
auch die Mitgliedschaft zu derselben eingebüßt hatten und daher an sich nicht mehr wahlberechtigt 
waren. Da indessen die betreffenden Wähler weder ihr Ausscheiden aus der Handwerkskammer erklärt 
hatten, noch von der Aufsichtebehörde ihres Amtes enthoben worden waren, hat das O.L.G. entschieden, 
daß nach § 103 I, 94b Gew.O. die Mitgliedschaft zur Handwerkskammer wegen Aufgabe des Hand- 
werksbetriebs nicht von Rechts wegen erlischt, die betreffenden Wähler vislmehr zu Recht an der Wahl 
teilgenommen haben. 
Es bedarf an dieser Stelle, namentlich gegenüber den heftigen Zeitungsangriffen, der Hervor- 
hebung, daß sich das vom O.L.G. Colmar eingeführte Wahlprüfungsverfahren im großen und ganzen 
bewährt hat; namentlich die rasche Durchführung der Verhandlungen, die ganz im Gegensatz steht 
zu dem seitens des Reichstages und der Landtage der Bundesstaaten beliebten schleppenden Verfahren, 
hat vortreffliche Wirkungen gehabt. 
17 Für die Frage, welchen Einfluß die Tätigkeit dee Geistlichen auf das Wahlergebnis Gehabt 
hat, ist das Gericht naturgemäß auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen angewiesen. Das O.L.G. hat 
das Wesentliche der geistlichen Wahlbeeinflussung darin gesucht, daß die Tätigteit des Geistlichen den 
Willen des Wählers beuge. Es hat deshalb Gegenbeweis durch die Wähler, daß sie durch die 
Predigt nicht beeinflußt seien, ausgeschlossen. 
Als unzulässige Beeinflussung sind zu erachten: Besuchen von Wählern im eigenen Hause in 
Ausübung der Seelsorge, Androhung der Strafe des Kirchenbannes für den Fall der Wahl eines 
Liberalen, Verknüpfung einer Wahlansprache mit einem Gebet, insbesondere Schließung mit „Amen“. 
Dagegen wurde nicht beanstandet die Benutzung von Kirchenglocken zur Ankündigung von Wahl- 
versammlungen. 
18 Mock, a. a. O. Der Umstand, daß bei der Hauptwahl die absolute, bei der Nachwahl 
die relative Majorität den Ausschlag gibt (§ 10 W. G.) nötigte insofern zu einer Unterscheidung, als 
ür die Hauptwahl in dem Falle, wo ungültige Stimmen oder die Stimmen nicht wahlberechtigter 
dhler mitgezählt worden waren, oder wo die Möglichkeit bestand, daß Wahlberechtigte infolge 
gesetzwidrigen Vorgehens bei Aufstellung der Wählerlisten von der Wahlteilnahme zu Unrecht aus- 
geschlossen worden waren oder wegen Wahlbeeinflussung von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht 
hatten, erst die für die Feststellung der Mehrheit maßgehende Zahl der als abgegeben anzunehmenden 
Stimmen neuberechnet werden mußte, während für den Fall, daß Wahlhandlungen in einzelnen 
Gemeinden wegen formaler Verstöße nichtig waren, dahin entschieden wurde, daß eine solche Neu- 
berechnung nicht einzutreten habe, weil die abgegebenen Stimmen bei Feststellung der für die 
Mehrheitsberechnung maßgebenden Stimmenzahl außer acht zu lassen und so ein vielleicht verschwindend 
kleiner Bruchteil der tatsächlich abgegebenen Stimmen die Entscheidung über die Wahl zu geben habe.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.