Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

* 36 Die Rechtsverordnungen. 139 
  
von der Zweiten Kammer ohne Zustimmung der Regierung in den Etat nicht eingesetzt 
werden 20° (§ 5 III). Damit ist eine bekannte staatsrechtliche Streitfrage ?1 zugunsten 
der Regierung in dem Sinne gelöst, daß die Zweite Kammer nicht einseitig die Finanzen 
des Landes solle belasten dürfen 22. 
IV. Der Etat ist kein Gesetz im materiellen, sondern im formellen Sinne. Sachlich 
betrachtet ist der Etat ein reines Verwaltungsgeschäft, welches nach Maßgabe des 
bestehenden Rechtes vorzunehmen ist. Das Etatgesetz wird aber in die Form des 
Gesetzes gekleidet, um dem Landtag den erforderlichen Einfluß auf diesen für die ganze 
Gestaltung der Landesverwaltung maßgeblichen Wirtschaftsplan zu verschaffen. Viel- 
fach kommt es nun vor, daß den Etatsgesetzen materiell-rechtliche Gesetzesbestimmungen 
eingefügt werden, die in gar keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Jahres- 
etat stehen. Man spricht in diesen Fällen von einer „Bepackung“ des Etats. Eine 
solche ist grundsätzlich unzulässig; man gelangt zu dieser Auffassung für das elsaß- 
lothringische Verfassungsrecht insbesondere auch im Hinblick auf die der Ersten Kammer 
in § 5 Abs. III S. 2 entzogene Befugnis zur Vornahme von Amendierungen. Da 
die Erste Kammer den Etat nur im ganzen annehmen oder ablehnen kann, wäre sie 
allenfalls in der Zwangslage, durch das Etatsgesetz „bemäntelte“ Gesetzesvorlagen, die 
sie entweder, an sich betrachtet, billigen oder verwerfen möchte, mit dem ganzen Etats- 
entwurf anzunehmen oder abzulehnen. Eine solche Vergewaltigung der Ersten Kammer 
muß als mit dem Sinne und dem Zweck des Verfassungsgesetzes unvereinbar bezeichnet 
werden (Laband II S. 262). 
§ 36. Die Rechtsverordnungen. I. Das elsaß-lothringische Verfassungsgesetz 
erwähnt die Rechtsverordnungen nicht ausdrücklich; wenn man daher auch grundsätzlich 
daran festhalten muß, daß die rechtsverbindliche Anordnung eines Rechtssatzes (Gesetz 
im materiellen Sinne) nur auf dem durch § 5 V. G. vorgezeichneten Wege der Gesetz- 
gebung zustande kommen kann, so ist damit doch nicht ausgeschlossen, daß Rechts- 
vorschriften auch im Wege der Verordnung erlassen werden können. Indessen ist für 
solche Rechtsverordnungen, ebenso wie nach Reichsrecht 1, vorgeschrieben, daß sie nur 
auf Grund einer besonderen gesetzlichen Delegation erlassen werden können. 
Wie der Begriff des Gesetzes, so kann auch der Begriff der Verordnung eine 
zweifache Bedeutung haben, eine materielle und eine formelle. Der materielle Be- 
griff der Verordnung ergibt sich aus dem Gegensatz zum materiellen Gesetzesbegriff; 
die Verordnung in diesem Sinne hat keinen Rechtssatz zum Inhalt, sondern eine An- 
ordnung auf dem Gebiete der Verwaltung 2. Der formelle Begriff der Verordnung 
umfaßt im Gegensatz zum formellen Gesetzesbegriff alle Willensakte des Staates, welche 
im Wege der Verordnung sich vollziehen 3. Demnach muß man die Verordnungen im 
formellen Sinne wieder einteilen in Rechtsverordnungen und Verwaltungs-= 
20 Diese Bestimmung fehlte in dem von den verbündeten Regierungen dem Reichstag vor- 
gelegten Entwurf; fie ist erst in der zweiten Lesung der Reichstagskommission beantragt und in der 
dritten angenommen worden, und zwar nach dem Vorbild der württembergischen Verfassung. Bgl. 
Laband D. J.3. 1911 S. 778. 
21 Vgl. Arndt Art. 69 R.BV. Note 4; Heim S. 57. · « 
22 Daß auch durch eine Zustimmung der Ersten Kammer in dieser Richtung nichts geändert 
werden kann, liegt auf der Hand. Initiativanträge der Ersten Kammer in dieser Hinsicht wären 
schon nach § 5 III Satz 2 unwirksam. Die im Anfchu an Arndt von Heim (S. 58) gemachte 
Bemerkung, daß die Regierung, falls sie den beschlossenen Etat im ganzen angenommen hat, um 
Konflikte zu vermeiden, zur Leistung der gegen ihren Widerspruch bewilligten Ausgaben nicht ver- 
flichtet sei, ist unklar oder doch mißverständlich. Wenn die Regierung den Etat einschließlich der 
raglichen Uberschreitungen angenommen hat, so ist sie selbstverständlich auch daran gebunden, wie 
aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes („ohne Zustimmung der Regierung") hervorgeht. 
(§ 36)] 1 Laband II S. 97. " · 
2 Laband II S. 85 f. Der Gegensatz von Geset und Verordnung im materiellen und ur- 
sprünglichen Sinne entspricht daher dem Gegensatz von Rechts= und Verwaltungsvorschrift. 
3 Deckt sich also nicht etwa mit dem Begriff der Verwaltungsvorschrift; er unsatt vielmehr 
unter Umständen beides, Mechtsnormen und Verwaltungsgrundsätze. Ein Beispiel hierfür bietet die 
Kais. Ver. v. 18. April 1900, betr. die Anlegung von Grundbüchern (G. Bl. S. 91).
	        
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