* 36 Die Rechtsverordnungen. 139
von der Zweiten Kammer ohne Zustimmung der Regierung in den Etat nicht eingesetzt
werden 20° (§ 5 III). Damit ist eine bekannte staatsrechtliche Streitfrage ?1 zugunsten
der Regierung in dem Sinne gelöst, daß die Zweite Kammer nicht einseitig die Finanzen
des Landes solle belasten dürfen 22.
IV. Der Etat ist kein Gesetz im materiellen, sondern im formellen Sinne. Sachlich
betrachtet ist der Etat ein reines Verwaltungsgeschäft, welches nach Maßgabe des
bestehenden Rechtes vorzunehmen ist. Das Etatgesetz wird aber in die Form des
Gesetzes gekleidet, um dem Landtag den erforderlichen Einfluß auf diesen für die ganze
Gestaltung der Landesverwaltung maßgeblichen Wirtschaftsplan zu verschaffen. Viel-
fach kommt es nun vor, daß den Etatsgesetzen materiell-rechtliche Gesetzesbestimmungen
eingefügt werden, die in gar keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Jahres-
etat stehen. Man spricht in diesen Fällen von einer „Bepackung“ des Etats. Eine
solche ist grundsätzlich unzulässig; man gelangt zu dieser Auffassung für das elsaß-
lothringische Verfassungsrecht insbesondere auch im Hinblick auf die der Ersten Kammer
in § 5 Abs. III S. 2 entzogene Befugnis zur Vornahme von Amendierungen. Da
die Erste Kammer den Etat nur im ganzen annehmen oder ablehnen kann, wäre sie
allenfalls in der Zwangslage, durch das Etatsgesetz „bemäntelte“ Gesetzesvorlagen, die
sie entweder, an sich betrachtet, billigen oder verwerfen möchte, mit dem ganzen Etats-
entwurf anzunehmen oder abzulehnen. Eine solche Vergewaltigung der Ersten Kammer
muß als mit dem Sinne und dem Zweck des Verfassungsgesetzes unvereinbar bezeichnet
werden (Laband II S. 262).
§ 36. Die Rechtsverordnungen. I. Das elsaß-lothringische Verfassungsgesetz
erwähnt die Rechtsverordnungen nicht ausdrücklich; wenn man daher auch grundsätzlich
daran festhalten muß, daß die rechtsverbindliche Anordnung eines Rechtssatzes (Gesetz
im materiellen Sinne) nur auf dem durch § 5 V. G. vorgezeichneten Wege der Gesetz-
gebung zustande kommen kann, so ist damit doch nicht ausgeschlossen, daß Rechts-
vorschriften auch im Wege der Verordnung erlassen werden können. Indessen ist für
solche Rechtsverordnungen, ebenso wie nach Reichsrecht 1, vorgeschrieben, daß sie nur
auf Grund einer besonderen gesetzlichen Delegation erlassen werden können.
Wie der Begriff des Gesetzes, so kann auch der Begriff der Verordnung eine
zweifache Bedeutung haben, eine materielle und eine formelle. Der materielle Be-
griff der Verordnung ergibt sich aus dem Gegensatz zum materiellen Gesetzesbegriff;
die Verordnung in diesem Sinne hat keinen Rechtssatz zum Inhalt, sondern eine An-
ordnung auf dem Gebiete der Verwaltung 2. Der formelle Begriff der Verordnung
umfaßt im Gegensatz zum formellen Gesetzesbegriff alle Willensakte des Staates, welche
im Wege der Verordnung sich vollziehen 3. Demnach muß man die Verordnungen im
formellen Sinne wieder einteilen in Rechtsverordnungen und Verwaltungs-=
20 Diese Bestimmung fehlte in dem von den verbündeten Regierungen dem Reichstag vor-
gelegten Entwurf; fie ist erst in der zweiten Lesung der Reichstagskommission beantragt und in der
dritten angenommen worden, und zwar nach dem Vorbild der württembergischen Verfassung. Bgl.
Laband D. J.3. 1911 S. 778.
21 Vgl. Arndt Art. 69 R.BV. Note 4; Heim S. 57. · «
22 Daß auch durch eine Zustimmung der Ersten Kammer in dieser Richtung nichts geändert
werden kann, liegt auf der Hand. Initiativanträge der Ersten Kammer in dieser Hinsicht wären
schon nach § 5 III Satz 2 unwirksam. Die im Anfchu an Arndt von Heim (S. 58) gemachte
Bemerkung, daß die Regierung, falls sie den beschlossenen Etat im ganzen angenommen hat, um
Konflikte zu vermeiden, zur Leistung der gegen ihren Widerspruch bewilligten Ausgaben nicht ver-
flichtet sei, ist unklar oder doch mißverständlich. Wenn die Regierung den Etat einschließlich der
raglichen Uberschreitungen angenommen hat, so ist sie selbstverständlich auch daran gebunden, wie
aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes („ohne Zustimmung der Regierung") hervorgeht.
(§ 36)] 1 Laband II S. 97. " ·
2 Laband II S. 85 f. Der Gegensatz von Geset und Verordnung im materiellen und ur-
sprünglichen Sinne entspricht daher dem Gegensatz von Rechts= und Verwaltungsvorschrift.
3 Deckt sich also nicht etwa mit dem Begriff der Verwaltungsvorschrift; er unsatt vielmehr
unter Umständen beides, Mechtsnormen und Verwaltungsgrundsätze. Ein Beispiel hierfür bietet die
Kais. Ver. v. 18. April 1900, betr. die Anlegung von Grundbüchern (G. Bl. S. 91).