936 6 Die Rechtsverordnungen. 141
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der Gültigkeit der Verordnung erforderlich ist, also z. B. das Gesetz, auf Grund dessen
die Verordnung ergeht 7. Die Frage wird grundsätzlich bejaht werden müssen; bei
einer ganzen Reihe von Gesetzen genügt allerdings das Zitat der Hauptgesetzes-
bestimmung.
Enthält die Verordnung keinen Termin für den Beginn ihrer Wirksamkeit, so
gilt in dieser Beziehung die entsprechende Vorschrift wie für Gesetze: sie erlangt Wirk-
samkeit mit dem 14. Tage nach Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende
Stück des Gesetzblattes in Straßburg ausgegeben worden ist. Für Publikationen im
Zentralblatt gilt diese Frist dagegen nicht.
Die Abänderung und Aufhebung von Verordnungen ist auf demselben Wege
möglich, auf dem sie zustande gekommen sind 8. Allgemeiner Grundsatz ist, daß Rechts-
verordnungen zur Ausführung von Reichsgesetzen auf Grund der in diesen Gesetzen
bezeichneten Delegationen erlassen werden. Der Erlaß von Ausführungsverordnungen
zu Landesgesetzen obliegt grundsätzlich dem Kaiser, in zweiter Linie dem Statthalter,
den Ministerium und anderen Behörden.
IV. Im einzelnen ist bezüglich des Verordnungsrechts in Elsaß-Lothringen folgen-
des hervorzuheben:
A. Das Verordnungsrecht des Kaisers beruht in erster Linie darauf,
daß er zur Ausübung der Staatsgewalt berufen ist. Maßgebend sind auch noch die
Bestimmungen des französischen Rechts, nämlich der Art. 6 der Verfassung vom
14. Januar 1852 und der Art. 14 des Senatuskonsults vom 21. Mai 1870 in Ver-
bindung mit § 3 I des Gesetzes vom 9. Juni 1871; danach ist das Staatsoberhaupt
zum Erlaß der „reglements et déecrets nécessaires pour I’exécution des lois“
zuständig. Diese verfassungsmäßige Verordnungsgewalt des Kaisers („pouvoir regle-
mentaire“) umfaßt richtiger Ansicht nach auch die Befugnis zum Erlaß von Polizei-
verordnungen'? in Fragen der Landespolizei, soweit es sich um die „Salubrité,
süreté und die tranquillité publique“ handelt i0.
Die Verordnungen der franzöfischen Exekutivgewalt führten unter der Königsherrschaft die
Bezeichnung ordonnances, auch brevets und lettres patentes, unter dem ersten und zweiten
Kaiserreich décrets und unter den Republiken arrétés. Einige von Napoleon I. erlassene décrets 11
haben Gesetzeskraft; es find dies Dekrete, die solche Materienregeln, welche eigentlich der Gesetzgebung
vorbehalten find 1. Gesetzeskraft foder vielmehr die Bedeutung von Gesetzen haben auch die von
Napoleon III. in der Zeit zwischen dem 2. Dezember 1851, dem Tage der Auflösung der National-
versammlung, und dem 29. März 1852, dem Tag des Zusammentritts des Corps Iégislatif, er-
7 Das Reichsgericht (R.G.E. [Str.] 35 S. 262) hat den Satz aufgestellt, daß es mangels
ausdrücklicher Vorschrift (im Reichsrecht!) dem Verordnungsberechtigten freistehe, in die Publikations-
formel das, was ihm gutdünke, birrinzuseten. Dem entgegen K. G. v. 30. Mai 1904 im Jahrb.
Bd. 27 I C; ferner Arndt (a. a. O.) und Kronecker, D.J.3z. 1907 S. 346.
* Eine Ausnahme besteht nach dem Gesetz v. 13. Juni 1898 (G.Bl. S. 55), betr. den Kaiser-
lichen Rat in E.-L. Die Zuständigkeit desselben in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten kann
durch Kaiserliche Verordnung erweitert werden; hat eine solche Erweiterung stattgefunden, so kann
sie nur durch Gesetz rückgängig gemacht werden. Bruck I S. 245.
Voal. Leoni S. 166; Veoni-Mandel S. 106; Bruck I S. 240.
1% Der Kaiser hat dieses Verordnungsrecht für das Land, wie es der Bezirkspräsident für den
Bezirk, der Bürgermeister für die Gemeinde hat. Ein Beispiel für das Kaiserliche Verordnungerecht
ist die Ver. v. 2. Sept. 1906, betr. den allgemeinen Fuhrverkehr und den Verkehr mit Krafsfahr.
zeugen (G. Bl. S. 70). .
Das franz. Staatsrecht knüpfte die Gültigkeit der „rglements d’administration publique“
an die vorherige Anhörung des conseil d'Utat; in den Eingangsworten der Verordnung mußte
diesem Umstande Erwähnung getan werden. Da mit der Einführung der deutschen Herrschaft eine
dem conseil d’Etat gleichwertige Organisation nicht geschaffen wurde — der elsaß lothringische
Staatsrat hatte im wceentlichen nur begutachtende Funktionen binsichtlich, der Gesetzentwürfe —, ist
der Kaiser allein ohne Mitwirkung einer Körperschaft zum Erlaß der Verordnung befugt, soweit
nicht das deutsche Recht gewisse Schranken gezogen hat. Leoni S. 167.
11 “7 B. das Dekret v. 16. Dez. 1811 über die Erbauung usw. der Straßen.
12 Die Rechtsgültigkeit dieser Dekrete ist nicht unbestritten geblieben; da aber der franzößicche
Senat von dem ihm nach der Verfass. v. 22. frim. VIII eingeräumten Rechte der Nichtigerklärung
verfassungswidriger Dekrete keinen. Gebrauch emacht hat, hat die französische Judikatur diese Dekrete
anerkannt. Vgl. Dufour, 3. éCd., Bd # 43; Aucoc, 3. éd., 1 Nr. 34.