Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

142 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 36 
  
lassenen Dekrete 13. Eine dritte Gruppe bilden die von dem französischen Staatsrat unter Zu- 
stimmung des Staatsoberhaupts erlassenen und verkündeten gutachtlichen Beschlüsse, in Sachen, die 
nach dem arrété vom 5. niv. VIII von den Konsuln vor ihn verwiesen und nach dem Gesetz vom 
16. September 1807 im Falle widersprechender Auffassungen zwischen dem Kassationshof und den 
unteren Gerichten durch den Staatsrat auszulegen waren; auch diese Gutachten beanspruchen Ge- 
setzeskraft 14. 
Das Deutsche Recht hat vielfach modifizierend in die Grundsätze des französischen Verfassungs- 
rechts eingegriffen, indem es den Erlaß kaiserlicher Verordnungen von der Zustimmung des Bundes- 
rats abhängig gemacht hat. Die Sanktion der Verordnung geht auch in diesen Fällen vom Kaiser 
aus, während dem Bundesrat die Feststellung des Verordnungsinhaltes zusteht. 
Das Notstandsverordnungsrecht5 des Kaisers ist nun mehr in § 23 
V.G. geregelt. Danach kann der Kaiser, während der Landtag nicht versammelt ist, 
Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen 
Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstands es dringend erfordert 16. 
Gegenstand solcher Verordnungen kann nur das Landesrecht sein; reichsrechtliche 
Vorschriften können dadurch nicht beseitigt werden 17. Das Gesetz verlangt zwei un- 
umgängliche Voraussetzungen für den Erlaß der Verordnung: einmal darf der Land- 
tag nicht versammelt sein; die Verordnung kann also nur während einer Vertagung 
des Landtags oder nach Schluß der Sitzungsperiode desselben erlassen werden, ferner 
muß die Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder zur Be- 
seitigung eines ungewöhnlichen Notstands dringend erforderlich sein. Läßt sich der mit 
der Verordnung bezweckte Erfolg auf eine andere Weise herbeiführen, so ist sie unzu- 
lässig. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen berechtigen nicht zum Erlaß der Verordnung; 
es muß sich vielmehr um einen Notstand, d. h. um ein nicht voraussehbar gewesenes 
Ereignis handeln, durch welches Gefahren oder Nachteile für das Land heraufbeschworen 
werden 18. Es muß ferner ein sofortiges Eingreifen dringend geboten sein, so daß 
nicht bis zum Wiederzusammentreten des Landtages gewartet werden kann 1½. Dafür, 
daß diese Voraussetzungen vorgelegen haben, ist der gegenzeichnende Minister (Statt- 
halter bzw. Staatssekretär) verantwortlich; indessen wird durch das Fehlen der Vor- 
aussetzungen das in Krafttreten der Notstandsverordnung nicht gehemmt. Die Not- 
standsverordnung muß im Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen verkündet werden; sie hat 
indessen nur provisorische (interimistische) Gesetzeskraft, sie ist nämlich dem Land- 
tag bei seinem nächsten Zusammentreten zur Genehmigung vorzulegen. Versagt der 
Landtag die Genehmigung, so tritt sie außer Kraft (§ 23 II V.G.). Es ergibt sich 
aus dieser Bestimmung, daß die Regierung die Notstandsverordnung dem Landtage 
zwecks Herbeiführung der Genehmigung vorlegen muß. Der Landtag kann nun die 
Genehmigung versagen; die Folge ist, daß die Verordnung ohne weiteres außer Kraft 
tritt; einer Zurücknahme oder einer Aufhebung der Kaiserlichen Verordnung bedarf es 
nicht. Zweckmäßigkeitshalber wird man verlangen müssen, daß ebenso wie die Ver- 
ordnung im Gesetzblatt verkündet worden ist, so auch ihre Außerkraftsetzung in der 
  
138 Sogen. décrets-lois, z. B. das Dekret, betr. die Hilfsgenossenschaften a. G., v. 14. Juni 
1851 und v. 26. März 1852. Aucoc a. a. O. Nr. 35; Leoni S. 167. In dem genannten 
Beitraum vereinigte Napoleon III. die gesamte Staatsgewalt, mithin auch die gesetzgebende Gewalt, 
in seiner Hand. 
14 Aucoc a. a. O. Nr. 33; Leoni S. 167. Die zit. Gesetzesbestimmungen sind durch Gesetz 
v. 31. Juli 1828 aufgehoben worden. 
15 Das besondere Verordnungsrecht des Kaisers auf Grund des Reichsgesetzes v. 7. Juli 1887 
(R.G.Bl. S. 377) ist durch das V. G. beseitigt. 
16 Diese Bestimmung ist an Stelle des § 8 Ges. v. 25. Juni 1873 getreten; sie ist dem 
Art. 63 der preuß. Verf. Urk. nachgebildet. 
1 Die Kompetenzgrenze für die Notstandsverordnungen deckt sich vollkommen mit der für die 
formellen Landesgesetze festgesetzten. Heim S. 107; Schulze S. 85. 
Ein Eingriff in das Verfassungsgesetz durch Notstandsverordnung ist naturgemäß aus- 
geschlossen, da die dem Kaiser übertragene Staatsgewalt nicht in die verfassungsmäßige Kompetenz 
des Reiches übergreifen kann. Laband II S. 263. 
18 Schwartz, Pr. Verf. Urk., S. 207; Heim S. 107. 
Daß sich der Notstand auf das ganze Land erstrecken müsse, ist nicht erforderlich. 
159 Es muß erwogen werden, ob nicht durch Einberufung einer außerordentlichen Session der 
gleiche Erfolg erreicht werden kann.
	        
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