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Dieser Zustand dauerte bis zur großen französischen Revolution 1. Die Gesetze vom 14. und
22. Dezember 1789 schufen zum ersten Male für alle örtlichen Gemeinschaften eine gleichmäßige
Verfassung unter dem Namen municipalité. Auf diese Weise wurden sie sämtlich zu Selbst-
verwaltungskörpern des neuen Staatswesens 2. Die Abgrenzung der Gemeindegebiete ging von den Grenzen
der alten selbstverwaltungsartigen Gebilde aus oder sie benötigte — und dies war namentlich auf
dem flachen Lande der Fall — die schon bestehenden Grenzen des Kirchspiels (paroisse).
Durch das Gesetz vom 28. Pluv. VIII Tit. II Art. 13) wurde sodann die eigentliche Grund-
lage für das neue Gemeinderecht geschaffen, das später durch die Gesetze vom 21. März 1831,
18. Juli 1837, 5. Mai 1855, 24. Juli 1867 weiter ausgestaltet wurde.
6 II. Unter deutscher Herrschaft wurde, um die durch die vielfachen gesetzlichen
Anderungen des Gemeinderechts hervorgerufenen Schwierigkeiten und Unklarheiten zu
beseitigen 3, auf der Grundlage des bisherigen Rechtszustandes zu einer neuen Ge-
meindeordnung vom 6. Juli 1895“ geschritten, deren Bestimmungen am 1. April
1896 in Kraft getreten sind.
Die neue Gemeindeordnung gewährte den Gemeinden eine viel größere Selb-
ständigkeit, als sie sie früher besessen hatten; sie ist mit die Hauptursache des großen
Aufschwungs geworden, den sehr viele Gemeinden genommen haben.
1. Die Gemeinde ist eine Gebietskörperschaft, ihr Substrat bilden ein geo-
graphisch abgegrenztes Stück des Staatsgebiets und die auf demselben befindlichen
Bewohner. Sie ist ferner eine Zwangsvereinigung; alle Bewohner des Gemeinde-
gebiets sind grundsätzlich Gemeindemitglieder. Das Gebiet der einzelnen Gemeinden
ist durch die Revolutionsgesetzgebung abgegrenzt worden. Sämtliches Gemeindegebiet
ist gleichzeitig Staatsgebiet; es kann also keine Grundstücke in Elsaß-Lothringen
geben, die nicht gleichzeitig zu einem Gemeindebezirk gehören 5.
Die einzelne Gemeinde kann in Ortschaften (sections) zerfallen , eine Tatsache,
die namentlich dann von rechtlicher Bedeutung ist, wenn die Ortschaft besonderes Ver-
mögen besitzt 7.
2. Die Veränderung der Gemeindegrenzen erfolgt, wenn die be-
teiligten Gemeinderäte einverstanden sind und die Gemeinden zu demselben Bezirk ge-
hören, durch den Bezirkspräsidenten, andernfalls durch das Ministerium (§ 2 Ge-
meindeordnung). Werden durch die Verschiebung der Gemeindegrenzen auch die Be-
zirksgrenzen geändert, so muß dies durch Kaiserliche Verordnung bestimmt werden .
2 Art. 7 des Ges. v. 22. Dez. 1789 lautet: II y aura une municipalité en chaque ville,
bourg, paroisse ou communauté de campagne.
à Auch in Frankreich find verschiedene Novellen ergangen, so v. 14. April 1871, 20. Jan.
1874, 12. Aug. 1876 und besonders im Gesetz v. 6. April 1884. Vgl. v. Reichlin, Die Ge-
meindegesetzgebung in E.-L., 2. A. 1885.
Materialien: Landesausschußverh. XXI. Sess. Bd. 1 Vorl. Nr. 5, Bd. II S. 169 f.,
503 f., 681 f.; Kommissionsbericht, Drucksachen Nr. 77 S. 538 f.; Ausführungsbestimmungen zur
Gemeindeordnung v. 25. März 1896 (A. Bl. S. 45); Wahlordnung für die Wahlen der Gemeinde-
ratsmitglieder v. 28. Dez. 1895 (A.Bl. 1896 S. 7).
Literatur: Leoni-Mandel S. 52—87; Kommentare: Nelken, Zabern 1896; Halley,
Stra burg 1896, neu herausgeg. von Bruck, Straßburg 1905; Bruck, Verfass.= u. Verwalt.R.,
Bd. 1 (1908) S. 248 f.
5 Eine Ausnahme ist nur geschaffen durch den badisch-französischen Staatsvertrag v. 5. April
1840, nach welchem die Gemarkungsgrenzen einzelner Gemeinden über die Hoheitsgrenze hinaus-
gehen und in badisches Gebiet hineinragen; es sind dies die elsässischen Gemeinden Rheinau,
Münchhausen, Beinheim. Umgekehrt gibt es auch badische Gemeinden mit ihren Gemarkungsgrenzen
auf elsaß-lothr. Gebiet hinüber, so: Jechtingen, Meisenheim, Ottenheim, Wittenmeyer, Vonm,
Scherzheim, Plittersdorf, Wielersdorf, Iffezheim. Es hängt dies mit dem früher wenigstens sehr
veränderlichen Talweg des Rheins zusammen.
* Auch Annexe oder section de commune genannt.
v 7 Soweit die Ortschaften bewegliches oder unbewegliches Vermöten besitzen, sind sie ipso jure
juristische Personen des öffentlichen Rechts (nicht des Privatrechts, wie Bruck I S. 248 irrtümlicher-
heies annimmt). Vgl. Molitor-Stieve S. 20 Nr. 2. Vgl. auch Gesetz v. 7. Juli 1897, betr.
Ortschaften.
s Ges. v. 30. Dez. 1871 (G. Bl. 1872 S. 49) § 3. Die Vollziehung der Kais. Ver. ist dem
Statthalter überlassen, wenn nur eine Anderung der Kreis= oder Kantonalgrenzen berbeigeführt
werden soll. § 2 Ges. v. 4. Juli 1879 (R.G. Bl. 165). Handelt es sich um unerhebliche Grenz-
verschiebungen von Gemeinden, so werden bei Zustimmung der Gemeinderäte und der betroffenen