192 Dritter Teil. Die Selbstverwaltungskörper. 47
ähnlichem Charakter bildet; besitzt diese „Anstalt“ jedoch keine eigene Rechtspersönlichkeit, so spricht
man von einer unselbständigen Anstalt („ce n'est qu'un service rattaché pour ordre“ 0.
Wesentlich ist also, daß das Gesetz — ein solches ist immer für die Schaffung einer öffentlichen
Anstalt erforderlich — diese betreffende Verwaltungsaufgabe mit Mitteln derart ausgestattet hat,
daß sie nicht nur technisch, sondern auch rechtlich ein Dasein mit eigener Rechtspersönlichkeit führen
kann (selbständige öffentliche Anstalt)".
b) Eine weitere wichtige Unterscheidung ist diejenige zwischen öffentlichen und gemein-
nützigen Anstalten' (établissements publies und ét. ch’utilité publics). Diese Unterscheidung,
der unter den jetzigen Verhältnissen keine besonders große Bedeutung mehr zukommt, bildet eine
besondere Eigentümlichkeit des französischen Verwaltungsrechts. Die ét. publics haben staatliche
Verwaltungsaufgaben zu erfüllen; der Staat hat kein Monopol auf Verwaltung aller Zweige der
Staatstätigkeit, er könnte dies Monopol auch tatsächlich bei Aufgaben von lokal begrenzter Be-
deutung gar nicht durchführen, deshalb bedient er sich gewisser Organisationen, wie Wohltätkeits-
anstalten, kirchlicher Anstalten usw., um durch dieselben gewisse Aufgaben der öffentlichen Fürsorge
bewirken zu lassen; gleichzeitig sichert er die Erfüllung der Anstaltszwecke durch ein weitgehendes
Mitwirkungsrecht (tutelle administrative, vormundschaftliche Aufsicht). Die ét. cutilité publics
sind dagegen ursprünglich private Organisationen, die privaten Zwecken dienen sollen. Infolge
der engen Berührung dieser privaten Interessen mit den öffentlichen Interessen hat sich auch hier
der Staat ein Aufsichtsrecht gesichert, das aber ursprünglich kein vormundschaftliches, sondern ein
polizeiliches war, um nämlich Schädigungen des Gemeinwohles zu verhinderns.
Bei dem im Laufe der Zeit mit der Ausdehnung des staatlichen Tätigkeitsgebietes immer mehr
verwischten inneren Unterschied zwischen 6t. publics und ét. d'utitité publies wird es sich fragen,
ob es sich überhaupt empfiehlt, diesen Unterschied beizubehalten, und ferner, ob ihm eine rechtliche
Bedeutung zukommt. Die gestellten Fragen find zu bejahen insbesondere mit Rückficht auf die ver-
schiedene Art des staatlichen Aufsichtsrechts und sodann, weil es eine Reihe von gesetzlichen Sonder-
bestimmungen gibt, die nur für die ét. publics gelten?. Das äußere Kriterium zur Unterscheidung
beider Anstaltsarten ist in ihrem öffentlich rechtlichen Berhältnis zum Staat, zum Bezirk oder zu
einer Gemeinde zu suchen. Ist die Anstalt durch eine der vorbezeichneten juristischen Personen des
öffentlichen Rechts gegründet worden, oder ist ihre Verwaltung und ihre Einrichtungen (die privaten
Ursprungs waren) im Laufe der Zeit in nahe Beziehungen zur Staats-, Bezirks= oder Gemeinde-
verwaltung getreten0, so ist damit ein Ctablissement public zur Entstehung gelangt, sonst nicht 11.
II. Die Entstehung, die Organisation und das Erlöschen der öffentlichen
Anstalten ist nach Grundsätzen des öffentlichen Rechts geregelt. Das B. G. B. sowie das A.G.
B. G. B. haben die diesbezüglichen landesgesetzlichen Vorschriften unberührt gelassen, vorbehaltlich der
4" Hauriou S. 228, Fleiner S. 261. Von diesen unselbständigen Anstalten sind wieder
wohl zu unterscheiden diejenigen öffentlichen Anstalten, die zwar Rechtspersönlichkeit befitzen, z. B. die
Laiser Wilhelms-Unipersität deren Furichtungen (3. B. Professorengehälter, Instandhaltung der
Mobilien und Immobilien usw.) aber durch periodische Zuschüsse vom Staate bestritten werden. Es
ändert dies ebensowenig an ihrer Eigenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts, wie dies bei
den Bezirken der Fall ist. Eigenartige Komplikationen können sich allerdings ergeben bei Entschädigungs-
ansprüchen gegen die brtreffende juristische Person, zumal wenn noch eine weitere juristische Visen
3. B. die Zivilhospizien, hinzutritt. Gedacht ist hier an den Fall, daß sich ein Kranker beim Besuch
einer öffentlichen Poliklinik (staatliche Einrichtung mit Universitätslehrzwecken in einem Gebäude, das
die Zivilhospizien zur Verfügung stellen) infolge mangelhafter Einrichtgungen dieser Klinik (Böden,
Treppen sind schad aft) verletzt. Die Haftung trifft hier die Zivilhospizien: bei Schädigungen, die
sich jedoch in Ausübung des Lehrzweckes (staatlich) ergeben, den Staat (Gesundheitsschädigung durch
grob fahrlässige Operation an einem Kranken).
5 Die gesetzliche Anerkennung als öffentliche Anstalt kann eine direkte oder indirekte sein,
Hauriou a. a. O. Fteiner S. 262.
7 O. Mayer, Franz. V.R. 5 62 f., Molitor-Stieve S. 20.
* Ducrocq 6. A. II S. 474, Leoni-Mandel S. 103, Hauriou S. 229, Molitor-
Stieve S. 21.
*" Molitor-Stieve S. 21, z. B. §§ 38, 40 A.G. B. G. B., § 11 A.G. C. P.O., 88 23, 29
A.G. F.G.G., Art. 1 - 5 Code forstier. Weiter zeigt sich der Unterschied auch im rechts-
geschäftlichen Verkehr der betreffenden Anstalten (Grundbuch, Erbschein).
10 Z. B. dadurch, daß das Personal oder die finanziellen Mittel in eine gewisse nahe Abhängigkeit
ur Staats-, Bezirks-, Gemeindeverwaltung gebracht sind. Es handelt sich hier um tatsächliche
Fragene die danach zu beurteilen sind, ob der Wirtschaftsplan seine Einnahmen aus privaten Zu-
wendungen und nicht aus staatlichen Zuschüssen bezieht; ob in der Verwaltung der Anstalt Privatleute
sitzen usw. vgl. Kass. 28. Okt. 1885; Sirey 86, 1. S. 436; Hauriou 230.
· IIEineAufzählungderötpubl.undderSt.d’ut.publ.gebenMolitoriStieveS.20,
Hauriou S. 231 f., Leoni-Mandel S. 100 zu den ét. publics werden auch diejenigen Organe
der anerkannten Religionsgesellschaften des französischen Staatsrechts gezählt, welche als Träger der
Vermögensrechte gelten, sowie die Kirchenfabriken.