8 54 Die Polizei der Volksbewegungen. Belagerungszustand. 211
unterlegen zu betrachten ist (Notstand der öffentlichen Ordnung) 15, 4. bei Gefahr im
Verzug, falls polizeiliche Hilfe nicht zur Stelle ist, wenn Personen auf frischer Tat
ertappt werden, bei ernsten Unruhen usw. Es sind dies im Grunde genommen Fälle,
in denen jeder Bürger das Recht und die Pflicht hat, der Behörde helfend bei-
zuspringen 16.
Für die Grenzbestimmung zwischen den Befugnissen der Militär= und Zivilgewalt
gelten neben den deutschen Militärreglements noch die Bestimmungen des Gesetzes vom
10. Juli 1791 17. Auch in den Festungen haben die Militärbehörden in Friedenszeiten
keine weitergehenden Befugnisse als in anderen Städten.
II. Der Belagerungszustand. Nach Art. 68 R. V. ist der Kaiser befugt,
über Elsaß-Lothringen oder Teile desselben den Belagerungszustand zu verhängen .
Bis zum Erlaß eines die fragliche Materie regelnden Reichsgesetzes findet das preußische
Gesetz vom 4. Juni 1851 (pr. G. Bl. S. 451) Anwendung 1°.
Die Voraussetzungen für die Erklärung des Belagerungszustandes sind ent-
weder Krieg in den von dem Feinde bedrohten oder teilweise schon besetzten Gebieten
oder Aufruhr bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit. (§§8 1, 2.) Die Er-
klärung muß unverzüglich öffentlich bekanntgemacht werden, und zwar allgemein durch
Publikation der Verordnung mit Gegenzeichnung des Reichskanzlers im Reichsgesetzblatt,
ferner besonders durch Bekanntmachung in jeder Gemeinde bei Trommelschlag oder
Trompetenschall, ferner durch Anschlag an öffentlichen Plätzen und Einrückung in
öffentliche Blätter (§ 3) 20.
Die Folgen der Verhängung des Belagerungszustandes sind: a) Die vollziehende
Gewalt geht auf die Militärbehörden über; die Zivilbehörden sind den Anordnungen
der Militärbehörden Folge zu leisten verpfüchtet; sie behalten ihre Machtbefugnisse nur
insoweit, als sie ihnen von der Miltärbehörde belassen werden. b) Die dem Militär-
strafgesetzbuch unterstellten Personen sind für die Dauer des Belagerungszustandes den
Kriegsgesetzen unterworfen (§ 6). Für alle übrigen Personen treten in den in Art. IV
els.l. E.G. St.G.B. vorgesehenen Fällen sowie bei den in § 9 des Gesetzes vom
4. Juni 185121 aufgeführten Handlungen schwerere Strafen ein. c) Es können Kriegs-
gerichte eingerichtet werden, deren Zusammensetzung, Zuständigkeit usw. in den §8 10 f.
näher bestimmt ist. Die Aufhebung des Belagerungszustandes erfolgt in der gleichen
Weise wie ihre Anordnung. (8 3.)
III. Besondere Bestimmungen sind durch das Reichsgesetz vom 30. Mai 1892
(R.G. Bl. S. 667) über die Vorbereitung des Kriegszustandes für Elsaß-
Lothringen getroffen worden. Vorausgesetzt, daß im Falle eines regelrecht erklärten
Krieges oder eines tatsächlich unmittelbar drohenden feindlichen Angriffs der Kriegs-
zustand nicht bereits erklärt ist, kann jeder mindestens in der Dienststellung eines
Stabsoffiziers befindliche oberste Militärbefehlshaber zum Zwecke der Verteidigung
die Ausübung der vollziehenden Gewalt in dem ihm unterstellten Orte oder Landesteile
vorläufig übernehmen. Die Übernahme erfolgt durch Erklärung gegenüber der
Zivilverwaltungsbehörde des betreffenden Ortes oder Landesteils (Bürgermeister, Kreis-
direktor, Bezirkspräsident) und ist in den in Frage kommenden Gemeinden öffentlich
bekanntzumachen. Unverzüglich mit der Erklärung ist die Entscheidung des Kaisers
über die Verhängung des Kriegszustandes einzuholen. Fällt diese Entscheidung negativ
aus, so hat damit auch ohne weiteres der „vorläufige Kriegszustand“ sein Ende erreicht.
15 Das unmittelbare Eingreifen des Militärs, das sich aus Gründen der staatlichen Selbst-
erhaltung rechtfertigt, wird indessen in E.-V. wohl kaum in Fragz kommen können, da der Statt-
halter nach § 2 II V.G. das Recht hat, zu polizeilichen Zwecken die in E.-L. steyenden Truppen (es
find das Truppen, die zu vier Armeekorps gehören) in Anspruch zu nehmen. Der Statthalter kann
n solchen Fällen auch dem militärischen Befehlshaber Weisungen erteilen.
ç 16 Vgl. z. B. Str. P.O. § 127. Vgl. bezüglich der militärischen Wachen und Patrouillen
die Kgl. pr. Kab. Order v. 29. Jan. 1881 §8 3, 9.
17 Leoni-Mandel S. 119 N. 3. 18 Vgl. oben S. 36.
1 Die landesgesblichen Bestimmungen (Ges. v. 9. Aug. 1849) find außer Kraft getreten. Vgl.
oben S. 37. And. "d Leoni-Mandel S. 121. ꝛo Laband IV// S. 42.
§ 8 des zit. Ges. ist durch das E.G. Str.G. B. aufgehoben.
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