Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

1 
— 
1. 
Vierter Teil. Die Landesverwaltung. 8 55 
Infolge der Erklärung des obersten Militärbefehlshabers geht die vollziehende 
Gewalt in dem betreffenden Gebietsteile in ihrem ganzen Umfang?? auf ihn über. 
Die Zivilbehörden in dem fraglichen Gebiete sind verpflichtet, den Anordnungen und 
Aufträgen des Militärbefehlshabers unbedingt Folge zu leisten. 
Uber die von den Militärbefehlshabern und dem Kaiser getroffenen Verfügungen 
muß dem Bundesrat und dem Reichstag sofort oder, wenn sie nicht versammelt sind, 
bei ihrem nächsten Zusammentreten Rechenschaft gegeben werden. 
§5 55. Vereine und Versammlungen. Das Vereins= und Versammlungsrecht 
ist nunmehr durch das Reichsgesetz vom 19. April 1908 (R. G. Bl. S. 151) ge- 
regelt 1, welches indessen nur die öffeutlich-rechtliche Seite der Materie behandelt, 
während das Bürgerliche Gesetzbuch die privatrechtliche Seite des Vereinsrechts?½ regelt. 
I. Nach § 1 haben alle Reichsangehörigens das Recht, zu Zwecken, die 
den Strafgesetzen nicht zu widerlaufen, Vereine zu bilden und sich zu versammeln. 
(Vereins= und Versammlungsfreiheit.) Andere Beschränkungen als solche, welche das 
Reichsvereinsgesetz und andere Reichsgesetze" aufstellen, gelten in Zukunft nicht mehr. 
Nach dem Reichsgesetze vom 11. Dezember 1899 (R.G.Bl. S. 696) dürfen auch 
Vereine als solche untereinander in Verbindung treten. Vereine, deren Zweck den 
Strafgesetzen zuwiderläuft, können aufgelöst werden (§ 2). 
Der Begriff des Vereins setzt eine dauernde organisierte (nicht notwendig recht- 
liche) Verbindung mehrerer Personen zur Verfolgung eines bestimmten gemeinschaftlichen 
Zweckes voraus. Unter Versammlung versteht man eine gewisse, an Zahl nicht 
allzu kleine, äußerlich irgendwie vereinigte und im Gegensatz zum Verein nicht auf 
die Dauer berechnete Personenmehrheit, die innerlich auf bewußt gemeinsamen Zwecken 
und Zielen, also auf gemeinschaftlichem Wollen beruht". Der Zweck der Versammlung 
muß auf die Erörterung bestimmter Angelegenheiten gerichtet sein. 
: Also nicht bloß in dem Umsange, wie sie vorher der betreffenden Lokalbehörde zustand. 
Leoni-Mandel S. 122 N. 1. 
(§ 55] Die Materie gehört daher an sich nicht mehr in die Darstellung eines Landesstaatsrechts; 
wenn sie gleichwohl hier behandelt wird, so geschieht dies aus Zweckmäßigkeitserwägungen wegen 
der mannigfachen Berührungspunkte mit dem Landesrecht. 
* Auch die Verwaltungsbehörden haben sich mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches 
u befassen; so z. B. bei der Frage der Verleihung der Rechtsfähigkeit an einen Verein mit wirt- 
schaftlichem Zweck. § 22 B. G.B. Ferner hat die (höhere) Verwaltungsbehörde ein Einspruchsrecht 
gegen die Verleihung der Rechtsfähigkeit an politische, sozialpolitische und religiöse Vereine. §§ 43 
Abs. 3, 61—63. Vgl. über die Frage, wann die Verwaltungsbehörde zur Geltendmachung des Ein- 
spruchs befugt ist, pr. O. V.G. v. 22. Dez. 1905 im Pr. Verw. Bl. 27 S. 818, ferner v. 16. Febr. 
1909, Reger, E. 30 S. 487; sächs. O. V.G. v. 30. Mai 1907, ebenda Bd. 29 S. 448; pr. O. V. G. 
v. 22. Dez. 1905, Reger 26 S. 551. 
Ausländer Purnießen das Vereins= und Versammlungzrecht nicht, wenn auch ihnen gegen- 
über ein ausdrückliches Verbot, Vereine und Versammlungen zu bilden, nicht besteht. Indefsen bilden 
die im R.V.G. enthaltenen Beschränkungen das Minimum der Ausländern gegenüber anwendbaren 
Maßnahmen. Vgl. Fischbach, Das R.V. G., in Nelkens, Els.-l. Verwaltungsgesetze, Bd. II S. 112. 
* Die in Geltung gebliebenen Bestimmungen der Reichsgesetze finden sich aufgezählt bei 
Fischbach a. a. O. S. 108 III. 
* Vgl. wegen der Einzelheiten der Definitionen mein Vereinsrecht a. a. O. S. 115 f., 119 f. 
" Wo keine Erörterung stattfinden soll, vielmehr nur eine Belustigung (Tanz), liegt daher eine 
Versammlung nicht vor. Künstlerische, wissenschaftliche Vereinigungen und Versammlungen oder 
Vorträge solcher Art fallen an sich nicht unter die Bestimmungen des Gesetzes, ebensowenig theatra- 
7r ne Vorstellungen, vorausgesetzt, daß der Hauptzweck dieser Unternehmungen der Kunst, der Wissen- 
schaft und dem Schauspiel zu dienen bestimmt ist. Vgl. pr. O. V.G. v. 24. Juni 1910, D.J.3. 
1911 S. 100. Uber den Unterschied zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen (privaten) Versamm- 
lungen und öffentlichen und privaten Lustbarkeiten vgl. mein Vereinsrecht a. a. O. S.126, 134. Der 
Begriff der geschlossenen Gesellschaft setzt einen individuell begrenzten Personenkreis voraus. 
Zwischen der Zahl der Gäste und der Mitglieder darf nicht ein auffälliges Mißverhältnis bestehen. 
Auch bei Vereinsversammlungen kann nach Lage des Falles Oftentlichten angenommen 
werden. Pr. O. V.G. v. 19. Dez.,1911, D.J.-Z. 1912 S. 142. Delius, Komm., S. 264 f. Vereins- 
versammlungen sind dann öffentlich, wenn der Verein nach der räumlichen Ausdehnung so groß, die 
Organisation so lose, der Erwerb und Verlust der Mitgliebschaft an so geringe Bedingungen geknüpft 
und der Mitgliederstand so wechselnd ist, daß die Mitglieder nicht als abgegrenzter Personenkreis 
angesehen werden können. K.G. v. 8. Febr. 1912, D.J.Z. S. 464. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.