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Vereine und Versammlungen.
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II. Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landes-
rechts finden Anwendung, soweit es sich um die Verhütung unmittelbarer Gefahr
für Leben und Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung handelt.
(§ 1 Abs. 2.)
III. Besondere Vorschriften gelten für Vereine, die eine Einwirkung auf
politische Angelegenheiten bezwecken (politische Vereine). Unter politischen An-
gelegenheiten versteht man solche Angelegenheiten, die sich beziehen auf die Erhaltung
der staatlichen Organisation oder deren Veränderung sowie auf die Beeinflussung der
Staatsregierung oder der Leitung der dem Staate eingegliederten öffentlich-rechtlichen
Körperschaften . Für politische Vereine gibt das Gesetz besondere Vorschriften: Sie
müssen einen Vorstand und eine Satzung haben. Der Vorstand ist verpflichtet, binnen
einer Frist von zwei Wochen nach Gründung des Vereins die in deutscher Sprache
abgefaßte Satzung sowie das Verzeichnis der Mitglieder des Vorstandes der für den
Sitz des Vereins zuständigen Polizeibehörde einzureichen, welche über die erfolgte Ein-
reichung eine kostenfreie Bescheinigung zu erteilen hat. Ebenso ist jede Anderung der
Satzung sowie jede Anderung in der Zusammensetzung des Vorstandes binnen einer
Frist von zwei Wochen nach dem Eintritte der Anderung anzuzeigen. (§ 3.) Weiter-
hin ist bestimmt, daß Personen unter 18 Jahren nicht Mitglieder von politischen
Vereinen sein und weder an Versammlungen solcher Vereine, sofern es sich nicht um
Veranstaltungen zu geselligen Zwecken handelt, noch in öffentlichen politischen Ver-
sammlungen anwesend sein dürfen. Kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung (§ 4)
gelten Personenmehrheiten, die vorübergehend zusammentreten, um im Auftrage von
Wahlberechtigten Vorbereitungen für bestimmte Wahlen zu den auf Gesetz oder An-
ordnung von Behörden beruhenden öffentlichen Körperschaften zu treffen (Wahlvereine),
vom Tage der amtlichen Bekanntmachung des Wahltages bis zur Beendigung der Wahl-
handlung nicht als politische Vereines.
Politische Versammlungen, d. h. solche öffentliche Versammlungen, deren Zweck
die Erörterung politischer Angelegenheiten betrifft, müssen von dem Veranstalter min-
destens 24 Stunden vor dem Beginne der Versammlung unter Angabe des Ortes und
der Zeit bei der Polizeibehörde angezeigt werden, welche hierüber eine kostenfreie Be-
scheinigung zu erteilen hat. (§ 5.) Die Anzeige muß in deutscher Sprache erfolgen:
sie kann auch mündlich erstattet werden. Sie muß enthalten den Beginn, den Ort
und die rechtzeitige Anmeldung der Versammlung, ferner den Namen des bestimmt zu
bezeichnenden Veranstalters. Einer Anzeige bedarf es nicht für politische Ver-
sammlungen, die öffentlich bekanntgemacht'" worden sind, ferner nicht für
Versammlungen der Wahlberechtigten zum Betrieb der Wahlen zu den auf Gesetz oder
Anordnung von Behörden beruhenden öffentlichen Körperschaften vom Tage der amt-
lichen Bekanntmachung des Wahltages bis zur Beendigung der Wahlhandlung. Das
gleiche gilt für Versammlungen der Gewerbetreibenden, gewerblichen Gehilfen, Gesellen,
Fabrikarbeiter, Besitzer und Arbeiter von Bergwerken, Salinen usw. zur Erörterung
von Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn-
und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung
der Arbeiter (Koalationsrecht). (§ 6.) Bezüglich anderer als politischer Versammlungen,
ferner bezüglich aller nicht öffentlichen Versammlungen bedarf es keiner Anzeige an
die Polizeibehörde. Indessen ist eine Ausnahme insofern geschaffen, als öffentliche
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. Stier-Somlo, Komm. zum R.V. G., S. 73; Delius, R. V. G., 5. Aufl., S. 212f.;
Fuschvach S. 149. Ein sozialpolitischer Bues gehört auch zu dem weiteren Begriff des politischen
weckes. Rehm (Deutschlands politische Parteien) nennt politische Vereine auch solche Vereine, die
auf andere Staatsorgane als die Verfassungsorgane einzuwirken suchen.
s Es muß sich um vorübergehend zusammentretende Personenvereinigungen handeln.
Vereine, welche dauernd eine Einwirkung auf die Wahlberechtigten im Interesse einer Partei be-
zwecken, find politische Vereine. Laband I S. 333.
Die Erfordernisse der Bekanntmachung bestimmt die Landeszentralbehörde. Vgl. Ziff. 3 der
Nerordn. Ministeriums in E. L. v. 22. April 1908 zur Ausführung des R.V.G. (Centr.Bl.
S. 185).