Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

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214 Vierter Teil. Die Landesverwaltung. 
  
  
Versammlungen unter freiem Himmelo, desgleichen Auf züge 11 auf öffentlichen 
Straßen oder Plätzen auf alle Fälle der Genehmigung der Polizeibehörde bedürfen. 
Die Genehmigung muß von dem Veranstalter mindestens 24 Stunden vor dem Beginne 
der Versammlung oder des Aufzugs unter Angabe des Ortes und der Zeit nachgesucht 
werden. Die schriftlich zu erteilende Genehmigung darf nur versagt werden, wenn aus 
der Abhaltung der Versammlung oder der Veranstaltung des Aufzugs Gefahr für die 
öffentliche Sicherheit zu befürchten ist 12. Im Falle der Verweigerung der Genehmigung muß 
dem Veranstalterein mit Gründen versehener kostenfreier Bescheid erteilt werden (§ 7). 
Ausdrücklich hebt das Gesetz im § 7 hervor, daß eine Versammlung, die in 
einem geschlossenen Raume veranstaltet wird, nicht schon deshalb als Versammlung 
unter freiem Himmel anzusehen ist, weil außerhalb des Versammlungsraumes befind- 
liche Personen an der Erörterung teilnehmen, oder weil die Versammlung in einen 
mit dem Versammlungsraume zusammenhängenden umfriedeten Hof oder Garten ver- 
legt wird. Von der in § 9 R V. G. vorgesehenen Möglichkeit, daß die Landeszentral= 
behörde bestimmen kann, daß und unter welchen Voraussetzungen für Versammlungen 
unter freiem Himmel und Auszüge die Genehmigung durch Anzeige oder öffentliche 
Bekanntmachung ersetzt werden kann, ist in Elsaß-Lothringen durch Ziffer 4 der Min.= 
Ver. vom 22. April 1908 Gebrauch gemacht worden. Danach genügt die Anzeige an 
den Bürgermeister bzw., in den Städten Straßburg, Metz, Mülhausen, an den Polizei- 
präsidenten. Da aber trotz erfolgter Anzeige die Versammlungen unter freiem Himmel 
und der Aufzug verboten werden können, wenn Gefahr für die öffentliche Sicherheit 
zu befürchten ist, so ergibt sich hieraus, daß ein eigentlicher Verzicht auf die Ge- 
nehmigung nicht vorliegt; § 9 hat im Grunde genommen nur strafrechtliche Bedeutung. 
Besonders privilegiert sind (§ 9 II) gewöhnliche Leichenbegängnisse sowie 
Züge der Hochzeitsgesellschaften, wo sie hergebracht sindz; sie bedürfen der An- 
zeige und der Genehmigung nicht 18. 
IV. Besondere Aufmerksamkeit wendet der Gesetzgeber den Versammlungen zu. 
Jede öffentliche politische Versammlung muß einen Leiter haben; als solcher kann 
auch der Veranstalter der Versammlungen, tätig werden. Aufgabe des Leiters oder 
16 Wesentlich ist also, daß die Versammlung sich nicht unter einer überdachung irgendwelcher 
Art befindet; unerheblich ist, ob sie nach den Seiten hin abgeschlossen ist. 
der A Geschlossene Versammlungen unter freiem Himmel bedürfen weder der Genehmigung noch 
er Anzeige. 
*r n; Ein Aufzug liegt vor, wenn eine zu einem bestimmten Zwecke vereinigte Menschenmenge 
in einer Weise, welche nie Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und die öffentliche Ordnung 
zu esährden gtisnet ist, sich über öffentliche Straßen hinbewegt. Vgl. mein Vereinsrecht S. 188 
un te dor It. 
12 Unter gewöhnlichen Verhältnissen kann die Genehmigung des § 7 N.V. G. nicht lediglich 
deshalb versagt werden, weil der Versammlungsort dem Veranstalter etwa wegen Weigerung des 
Eigentümers nicht zur Verfügung steht. Der Mangel dieser Verfügungsbefugnis kann jedoch zu einer 
Ablehnung des Versammlungsgesuches führen, wenn im gegebenen Falle infolge der Verweigerung 
des Platzes unter besonderen, sich hieran knüpfenden Umständen die Besorgnis, daß hierdurch die 
öffentliche Sicherheit gefährdet werden könnte, gerechtfertigt erscheint. Pr. O. V G. v. 12. Dez 1911, 
Pr. Verw. Bl. 1911/12 S. 467. BVgl. fserner Wolzendorff, Über Straßendemonstrationen, Pr. 
Verw. Bl. 1910/11 S. 312. 
Die Hrrsagung der Genehmigung zur Veranstaltung eines öffentlichen Auszugs ist nicht auf 
die in § 7 R. V. G. bezeichneten Balanssetngen beschränkt, kann vielmehr auf alle sonstigen im 
R.V.G. (§8§ 1 II, 24) oder in anderen Reichsaesetzen enthaltenen Beschränkungen der Versammlungs- 
freiheit. insbesondere auf die zum Schutz der Feier der Sonn= und Feiertage erlassenen Verordnungen 
gestützt werden. Hat die Polizeibehörde für die Versagung der Genehmigung nur einen Grund 
angegeben, so ist im Beschwerde= oder Verwaltungsstreitverfahren die Geltendmachung einer ander- 
weiten Begründung jedenfalls insoweit zulässig, als sie auf einer der Genehmigung entgegenstehenden 
wingenden Gesetzes= oder gesetze: gleichen Vorschrift beruht. Pr. O. V. G. v. 26. Sept. 1911, Reger 
d. 32 S. 588. Agl. ferner wegen einer Versammlung unter freiem Himmel bei Dunkelheit 
pr. O. V.G. v. 10. Mai 1912, Reger Bd. 32 S. 565, und bezüglich öffentlicher Aufzüge pr. O. V.G. 
v. 4. Okt. 1912, „Recht“ 1913 S. 38. 
119 Der Landeszentralbehörde bleibt es überlassen, zu bestimmen, daß auch andere Aufzüge der 
Anzeige und Genehmigung nicht bedürfen, und daß Auf üge, die durch mehrere Ortschaften führen, 
nur einer Polizeibehörde angeriigt und von inr genehmigt zu werden brauchen. Von letzterer 
Möglichkeit ist durch Ziff. 4 Abs. 4 els.-I. Min. Ver. Gebrauch gemacht worden.
	        
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