Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 Erster Teil. Die Entwicklungsgeschichte der reichsländischen Verfaffung. 82 
  
gegenzeichnen. (Laband II 218.) Seine Stellvertretung in Behinderungsfällen 
ordnete er selber nach Maßgabe einer Instruktion des Reichskanzlers an, welch' letzterer 
in allen Beziehungen die eigentliche Spitze der Landesregierung blieb. 
Die Befugnisse des Oberpräsidenten zerfielen in zwei Gruppen, solche, die ihm 
vom Gesetz unmittelbar übertragen waren, und solche, die ihm auf Grund des § 6 
Abs. 2 des Gesetzes von 1871 vom Reichskanzler überwiesen wurden. Kraft der 
ersteren Zuständigkeit hatte er insbesondere die Aufsicht über die Behörden der Landes- 
verwaltung und die zugehörigen Beamten. Weiterhin hatte er für die gleichmäßige 
Ausführung der Gesetze und Verordnungen sowie der Anordnungen des Reichskanzlers 
zu sorgen und darüber zu wachen, daß die Verwaltung regelmäßig und nach überein- 
stimmenden Grundsätzen gehandhabt werde. Er war auch Beschwerdeinstanz gegen die 
Entscheidungen der Behörden, soweit nicht die Entscheidung des Reichskanzlers oder 
des gem. § 8 zit. einzurichtenden „Kaiserlichen Rats“ herbeizuführen war. In 
letzterem Kollegium, das aus den dem Oberpräsidenten beigegebenen Räten gebildet 
wurde, führte der Oberpräsident selber den Vorsitz. Der Kaiserliche Rat hatte die 
durch die Gesetze dem früheren Staatsrat zugewiesenen Funktionen, soweit dieselben 
die Rekurse gegen Entscheidungen des Bezirksrats in streitigen Sachen betrafen. Dem 
Oberpräsidenten lag es ferner ob, für die Aufstellung des jahrlich im Wege der Gesetz- 
gebung festzustellenden Etats der Einnahmen und Ausgaben des Landes zu sorgen und 
den Etat vor Beginn des Etatjahres dem Reichskanzler vorzulegen (§ 5). 
Zur unmittelbaren Verwaltung waren dem Oberpräsidenten überwiesen (8 6); 
1. alle nicht dem Reichskanzler vorbehaltenen Angelegenheiten, welche mehrere 
Bezirke betreffen und eine örtliche Trennung nach Grenzen der Bezirke nicht zulassen; 
2. alle öffentlichen Anstalten, die für mehrere Bezirke bestimmt sind; 
3. Strombauten des Rheins und der Mosel sowie der Schiffahrtskanäle, soweit 
letztere nicht durch den Reichskanzler den Bezirksbehörden zugewiesen wurden; 
4. alle Angelegenheiten, welche das Ressort oder das Interesse der Militär- 
und Zivilbehörden gemeinsam betreffen und militärischerseits zur Kompetenz des komman- 
dierenden Generals gehören. 
Außerdem konnten ihm durch den Reichskanzler ganz oder teilweise die Befug- 
nisse übertragen werden, welche nach den in Geltung stehenden französischen Gesetzen 
von den Ministern auszuüben waren (8§ 6 II). Von dieser Delegationsbefugnis wurde 
seitens des Reichskanzlers in erheblichem Maße Gebrauch gemacht, indem er durch 
Bekanntmachung vom 29. Januar 1873 (Ges. Bl. S. 122) dem Oberpräsidenten von 
Möller für seine Persorn diese Befugnisse im Bausch und Bogen übertrug, soweit 
sie nicht durch besondere Reichsgesetze oder kaiserliche Verfügungen geregelt waren oder 
dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten oder des Krieges zustanden oder die 
Verwaltung der indirekten Steuern zum Gegenstand hatten. (Laband II 218.) Sonach 
umfaßte der Geschäftsbereich des Oberpräsidenten die gesamte innere Verwaltung, die 
öffentlichen Arbeiten, Handel und Gewerbe, Landwirtschaft, Kultus, Unterrichtswesen 
mit Ausnahme der Universität, und die Finanzen mit Ausnahme der indirekten Steuern. 
Dem Reichskanzler waren zur unmittelbaren Bearbeitung geblieben die Justiz, die Forst- 
verwaltung, das Bergwesen und die Leitung und Ausfsicht über die Universität. (Leoni S. 85.) 
Eine besonders weitgehende Befugnis wurde dem Oberpräsidenten durch § 10 zit. 
(Diktaturparagraph) eingeräumt. Danach war er bei Gefahr für die öffentliche 
Sicherheit ermächtigt, alle Maßregeln ungesäumt zu treffen, welche er zur Abwendung 
der Gefahr für erforderlich erachtete. Er war danach befugt, innerhalb des der 
Gefahr ausgesetzten Bezirks diejenigen Gewalten auszuüben, welche der §# 9 des Gesetzes 
vom 9. August 1849 (Bulletin des Lois Nr. 1511) der Militärbehörde für den Fall 
des Belagerungszustandes zuweist; insbesondere war er berechtigt. zu polizeilichen Zwecken 
die in Elsaß-Lothringen stehenden Truppen zu requirieren. Von den erlassenen Ver- 
fügungen war dem Reichskanzler unverzüglich Anzeige zu erstatten. Durch § 23 zit. 
war schließlich bestimmt, daß, wenn die Notwendigkeit eintreten sollte, Handlungen 
vorzunehmen oder Befugnisse ausüben zu lassen, welche durch die französische Gesetz-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.