Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

8 62 Armenpolizei. Gothaer Vertrag. Eisenacher Konvention. 241 
Verpflichtung von Verwandten beschaffen kann. (S8 41 Freiz. Ges.) Die Besorgnis 
vor künftiger Verarmung berechtigt nicht zur Abweisung. 
Die Fortsetzung des Aufenthalts in einer Gemeinde kann untersagt werden, 
wenn sich nach dem Anzuge, bevor der Anziehende sich den Unterstützungswohnsitz er- 
worben hat, die Notwendigkeit der öffentlichen Unterstützung herausgestellt hat, und 
zwar aus anderen Gründen als wegen nur vorübergehender Arbeitsunfähigkeit. (§ 5.) 
Die Ausweisung erstreckt sich in beiden Fällen auch auf die unselbständigen Familien= 
angehörigen des Hilfsbedürftigen. 
Bis zum 1. April 1910, dem Tage des Inkrafttretens des Unterstützungs- 
wohnsitzgesetzes, fanden in Fällen, in welchen die Übernahme eines Armen zwischen 
einer elsaß-lothringischen Gemeinde und dem Armenverbande eines deutschen Bundes- 
staates streitig war, der Gothaer Vertrag vom 15. Juli 18517 und die Eise- 
nacher Konvention vom 11. Juli 1853" Anwedung. Seit dem vorgenannten 
Zeitpunkt findet das Versahren nach dem Gotharer Vertrag nur noch Bayern gegen- 
über Anwendung, wo das Unterstützungswohnsitzgesetz keine Geltung hat 7. 
II. Nach dem Gothaer Vertrag bestimmt sich der übernahmepflichtige Staat und 
ferner der Personenkreis, der bei Verarmung einer Familie zu übernehmen ist. Weiter- 
hin trifft er Bestimmungen über die Art der Uberführung und über die Erstattung 
der hierdurch erwachsenen Kosten. Hiernach ist Bayern bzw. Elsaß-Lothringen ver- 
pflichtet, diejenigen Personen zu übernehmen, welche seine Staatsangehörigkeit noch be- 
sitzen oder dieselbe früher besessen haben, solange sie nicht die Staatsangehörigkeit des 
ausweisenden Staates erlangt haben. (8 J.) Ist der Hilfsbedürftige niemals im 
Besitze einer Staatsangehörigkeit eines der Staaten gewesen, so ist der Staat über- 
nahmepflichtig, in welchem der Auszuweisende a) nach erreichter Volljährigkeit sich 
fünf Jahre aufgehalten, b) sich verheiratet und mit seiner Ehefrau unmittelbar hier- 
auf mindestens sechs Wochen eine gemeinschaftliche Wohnung besessen, oder c) wo er 
geboren ist. (§ 2.) Die Geburt ist nur subsidiärer Verpflichtungsgrund; tressen 
mehrere Voraussetzungen zusammen, so ist das neuere Verhältnis maßgebend. (§7 Abs. II.) 
Liegt keine der Voraussetzungen vor, so ist der Aufenthaltsstaat verpflichtet, den Be- 
dürftigen zu behalten. (§ 6 I.) Sind mehrere Staaten übernahmepflichtig, so ist der- 
jenige Staat in Anspruch zu nehmen, der in Beziehung auf den Verpflichtungsgrund 
oder die Zeitfolge näher verpflichtet ist. (§ 7 I.) Lehnt der am nächsten ver- 
pflichtere Staat die Übernahme ab, so ist sie von dem nach ihm verpflichteten Staate 
unter Abtretung der Ansprüche gegen den ersten Staat zu beanspruchen. (§ 7 Abs. 2.) 
Die Übernahmepflicht bezieht sich auf den Hilflosen und seine Familie; in 
keinem Falle sollen Ehefrauen und Kinder unter 16 Jahren von ihren Eltern getrennt 
werden. (§§ 3—6 Goth.V.) 
Ohne Zustimmung eines Staates darf diesem eine Person nur zugeführt werden, 
wenn sich dieselbe im Besitze eines von der Behörde ihres Wohnortes ausgestellten 
Ausweises (Paß, Paßkarte) befindet, der die Zugehörigkeit zu dem aufnahmepflichtigen 
Staat dartut 8. 
Dem eigentlichen Übernahmeverfahren hat ein Schriftwechsel zwischen den be- 
teiligten Behörden (Bezirkspräsident) bzw. den obersten Landesbehörden (Ministerium) 
6 Freigser § 7. Der Gothaer Vertrag ist als zweite Beilage zu Art. 1 des Ges. v. S. Jan. 
1873 (G. Bl. S. U. und zwar mit Beschränkung auf die §§ 1—11 abgedruckt. Einen vollständigen 
Abdruck des Vertrages mit sämtlichen Protokollen enthält das Werk von A. Müller, Die Über- 
einkunft deutscher Bundesstaaten vom 15. Juli 1851, Stuttgart 1861. Der Gothaer Vertrag ist 
späterhin durch weitere Vereinbarungen mit den Bundesstaaten ergänzt worden. 
G. Sbekanntmachung des Reichskanzlers v. 16. Jan. 1874 (G. Bl. S. 1) u. v. 29. April 1874 
.Bl. S. 13). 
! Ferner auch Luxemburg gegenüber, das dem Gothaer Vertrage beigetreten ist (Preuß. 
Gesetzsammlung 1885 S. 36). Vgl. Eyschen, Staatsrecht des Großherzogtums Luxemburg. 
Deas UÜbereinkommen zwischen Baden und Elsaß-Lothringen über die armenrechtlichen 
Beziehungen v. 26. Sept. 1896 ist mit dem 1. April 1910 gekündigt worden. Entschl. des badischen 
Min. d. Inn. v. 28. April 1909, Bad. Verw 3. 42 S 58. 
#8s Die Durchführung n einem dritten Staate ist natürlich gestattet. Goth. Vertr. 88 7, 8. 
Schlußprotokoll der Eisenacher Konserenz v. 29. Juli 1848 B. 4. 
Fischbach, Elsaß-Lothringen. 16
	        
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