Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

254 Vierter Teil. Die Landesverwaltung. 8 66 
Kreises, in welchem der Kranke sich befindet, binnen 24 Stunden seit Feststellung der 
Krankheit oder eines Verdachts schriftlich Anzeige zu erstatten. 
3. Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch, daß nach dem Zollvereinsgesetz vom 
1. Juli 1869 und dem Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 der Kaiser bzw. der 
einzelne Bundesstaat oder Elsaß-Lothringen auch Beschränkungen des Grenzpersonen= 
verkehrs mit Rücksicht auf Epidemien usw. anordnen kann. 
1. Schließlich gehören dem Gebiete der Gesundheitspolizei zum großen Teil 
auch die Bestimmungen über die gewerbsmäßige Unzucht ½" weiblicher Personen 
an. Zweck dieser Bestimmungen ist der Schutz gegen ansteckende Krankheiten, fernerhin 
auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Vielfach spricht 
man von „Sittenpolizei“; indessen, wenn der Staat auch die Wahrung der Sittlichkeit 
zu seinen Aufgaben zählt, so soll diesem Zwecke durch die fraglichen Vorschriften nicht 
gedient werden, sondern eben nur den bereits erwähnten Zwecken der Gesundheit und 
öffentlichen Ordnung 17. 
Wie in Frankreich eine eigentliche gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung der 
Prostitution fehlt (die französischen Rechtslehrer leiten die Befugnis der Polizei zu 
einem Vorgehen gegen die Dirnen aus einem Auftrag der Gesellschaft ab), so liegt 
auch im Deutschen Reiche die Angelegenheit nicht viel zweifelsfreier, wenn auch hier 
die Blankettbestimmung des § 361 Nr. 6 Str. G. B. besteyt. Dieser Paragraph be- 
droht diejenigen Weibspersonen mit Strafe, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht 
einer polizeilichen Aufsicht unterstellt sind, wenn sie den zur Durchführung dieser Auf- 
sicht erlassenen Polizeivorschriften zuwiderhandeln sowie diejenigen, welche, ohne einer 
solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treiben. Der Gesetzgeber ist also 
nichts weniger als konsequent, und das gleiche kann von der Prostitutionspolizei überhaupt 
gesagt werden: es ist ganz in das Belieben der Polizeibehörden gestellt, ob sie eine 
Duldung und Ordnung der Prostitution haben will oder nicht 18. Ordnet die Polizei 
das Prostitutionswesen (Reglementierung), so hat sie hierbei aber nicht etwa absolute Be- 
fugnisse; denn auch die Prostituierten stehen der Polizei nicht etwa rechtlos gegenüber. 
Nach den Grundsätzen einer gesetzmäßigen Verwaltung darf die Polizei ihre Maß- 
nahmen nur innerhalb der durch das Gesetz getroffenen Ermächtigung treffen. Aber die 
bloße Aufnahme der Strafsanktion in das Reichsstrafgesetzbuch ist noch keine hinreichende 
Delegation, und ebensowenig kann dieselbe in der der Polizei gesetzlich zugewiesenen 
Aufgabe der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Gesetz vom 
22. Dezember 1789, 16./23. August 1790 Art. 3 Ziff. 5 und 22. Juli 1791 Art. 46 
Ziff. 1) erblickt werden 16. Da es sich um einen tiefgehenden Eingriff in die menschliche 
Freiheit handelt, müßte ein besonderes Gesetz ergehen, welches die erforderlichen Be- 
schränkungen festlegt. Die Polizei ist jedenfalls nur zu solchen Maßnahmen berechtigt, 
welche sich aus dem Gesetz herleiten lassen 20. Daß die in der Praxis tatsächlich ge- 
handhabten Beschränkungen (Karte, ärzliche Visite, Zwangsheilung, Haftstrafe) tat- 
6 Zum Begriffe der gewerbsmäßigen Unzucht im Sinne des § 361 Ziff. 6 Str. G.B. gehört, 
daß die Weibsperson sich einem individuell nicht bestimmten und geschlossenen Kreise von Männern 
gegen Entgelt preisgegeben hat oder preisgeben wollte. Gewerbemäßige Unzucht liegt deshalb nicht 
vor, wenn eine Frau sich nur einem einzelnen Manne gegen Entgelt preisgibt und hierbei nicht die 
Absicht hat, sich in Zukunft einem individuell nicht bestimmten Kreise von Personen gegen Entgelt 
hinzugeben. R.G. v. 29. Okt. 1900, Golstd. A. 47 S. 441. 
1 Vgl. Wolzendorff, Polizei Iund Prostitution, ein " Leeitt r. f. d. ges. Staatswifsensch. 
Bd. 67 Jn!! S. 1 f.; pr. Min. Erl. v . Dez. 1907; e régime 19 ue de la pro- 
stitution. in Rev. du droit public Ve. 188 . S. 690; Deef., Jahrb. d fl.. N. 1912 S. 389 
und 7 BVerw.R. S. 385. 
nberührt hiervon bleibt der Tatbestand der Kuppelei. Vgl. hierzu 8§ 180, 181 Str. GB. 
und Ols ausen, Komm. hierzu. 
18 zendorff S. 248f. Im einzelnen End die gesetzlichen Bestimmungen: Ges. v. 
22. Dez. 1789 Sekt. III Art. 2 Z3. 9; Ges. v. 16. Aug. 1790 Tit. 11 Art. 3 Nr. 3 u. 5; pvgl. 
ferner Ges. v., 19. Juli 1791. In der Praxis handhaben die Poligeibehörden die entsprechenden 
Vorschriften. über die Befugnis der Polizei zur zwangsweisen Unterbringung syphilitisch Erkrankter 
in einer Heilanstalt vgl. Ver. d. kgl. öch, Min. d. Inn. v. 26. Nov. 1908, Reger 30 S. 367. 
Bezüglich des Hreußischen Rechts o c. Pr. Verw. 1904/05 S 775. 
O. L. G. Colmar v. 6. Mai 1902, Elf.-I. Z. 28 (1903) S. 598. 
 
	        
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