8 66 Das Gesundheitswesen. ** 255
sächlich notwendig find, unterliegt keinen Bedenken. Die Prostitution, namentlich
auch in ihrem Zusammenhang mit der Kriminalität betrachtet, gefährdet erfahrungs-
gemäß die öffentliche Sicherheit und Ordnung; deshalb hat der Staat das Recht, das
Prostitutionswesen zu ordnen?1. Es geschieht dies dadurch, daß die öffentlichen Dirnen
in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt werden.
Nach der jetzt bestehenden Ubung ist die Verhängung der sittenpolizeilichen Aufsicht
als polizeiliche Einzelverfügung der betroffenen Person bekanntzumachen; es genügt in
dieser Beziehung die Aushändigung der Dirnenkarte, die die einzelnen polizeilichen Auf-
lagen enthält 232. Die polizeilichen Bestimmungen, soweit sie sich innerhalb der gesetzlichen
Schranken halten, sind nach dem Grundsatze der Trennung der Gewalten für die Gerichte
bindend 2 a. Gegen die Auflagen ist nur der Beschwerdeweg an die Auffichtsinstanz gegeben.
II. Die niedere Gesundheitspolizei. Der öffentlichen Gesundheit
dienen auch:
1. die Lebensmittelpolizei. Die fragliche Materie ist sozusagen aus-
schließlich durch die Reichsgesetzgebung geregelt. Es gehören hierher das Gesetz, be-
treffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen
vom 28 (R. Bl. S. 175 bzw. S. 276). Der gesamte Verkehr mit den
fraglichen Gegenständen wird dadurch unter staatliche Aufsicht gestellt. Die Kontrolle
geschieht durch Polizeibeamte, welche während der üblichen Geschäfts= und Verkehrs-
stunden in die Verkaufs= usw. Räumlichkeiten eintreten und nach ihrer Wahl
Proben zum Zwpecke der amtlichen Untersuchung entnehmen dürfen; für die erhaltene
Probe ist der Kaufpreis zu entrichten 23. Bei bereits wegen Vergehen gegen das
Nahrungsmittelgesetz verurteilten Personen können unvermutete Revisionen der
Verkaufsräume, Lager usw. vorgenommen werden, unbeschadet der Befugnis, bei vor-
liegendem Verdacht einer strafbaren Handlung Haussuchungen und Beschlagnahmen
(allenfalls vorläufige) vornehmen zu lassen ". Der Landesgesetzgebung ist es vor-
behalten, der Polizei weitergehende Befugnisse im Rahmen des Reichsrechts einzuräumen.
Im Anschluß an das Nahrungsmittelgesetz sind noch folgende Spezialgesetze er-
gangen: das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen
Getränken vom 24. Mai 1901 (R.G.Bl. S. 175)23, das Gesetz, betreffend den
:1 Bgl. v. Guyot. La prostitution, 1883, und die daselbst S. 232 abgedruckte Ent-
scheidung des Kassationshofes v. 3. Dez. 1847: La police sur les maisons de débauche, ainsi
que sur les personnes, qui s'abandonnent à la prostitution exige non seulement des
dispositions toutes spéciales dans Iinterst de la sécurité, de Tordre et de la morale, mais
encore des mesures particulidres au point de vue d’hygièene publique. Vgl. ferner Block,
Dict. vo débauche, stehen auf dem Standpunkte, daß die gegenwärtig gehandhabte Sittenkontrolle
gesetzlich begründet sei; so auch Leoni-Mandel S. 188.
** Die Auflagen brauchen nicht für alle Dirnen die gleichen zu sein. O.L.G. Colmar v.
6. Mai 1912. Els.-I. 3. 28 S. 598.
ꝛaa Die Unterkontrollstellung von Ehefrauen dürfte indessen, als unferen sittlichen An-
schauungen widersprechend, ungültig sein, insbesondere dann, wenn die Ehefrau nicht einwiligt
(Zwangskontrolle) und auch der Ehemann sein Einverständnis nicht erklärt. Ebensowenig dürfte sich
die Kontrolle ausgewiesener Frauenspersonen begründen lassen.
7*3 Es besteht indessen keine Verpflichtung der Polizei zur sofortigen Bezahlung der ent-
nommenen Proben. N.G. v. 14. Mai 1879, Reger E. 26 S. 141.
* Gemäß 8§§ 5 f. Ges. hat der Kaiser die Befugnis, Verordnungen mit Zustimmung des
Bundesrats zum Schutze der Gesundheit zu erlassen. Vgl. in dieser Richtung: Ver. v. 24. Febr.
1882 über den gewerbsmäßigen Verkauf und das Feilhalten von Petroleum (R. G. Bl. S. 40) und
hiereu Min. Ver. v. 27. März 1883 (Centr. Bl. S. 105) und v. 30. Juni. 1898 (Centr. Bl. S. 161);
er. v. 1. Febr. 1891, betr. das Verbot von Maschinen zur Herstellung künstlicher Kaffeebohnen
(R.G. Bl. S. 11); Kais. Ver. v. 6. Juni 1893 (G. Bl. S. 71) über den Verkehr mit Mineralölen
7 Bezirkspolizeiverordn. für Oberelsaß v. 22. Mai 1901 (Centr. Bl. S. 138), für Unterelsaß v.
19. 3 1894 (Centr. Bl. S. 95), für Lothringen v. 15. April 1894 (Centr. Bl. S. 119) und v.
22. Juni 1899 (Centr. Bl. S. 92).
26 Ausf. Best. des Bundesrats v. 2. Juli 1901 (R.G. Bl. S. 257). Bekanntmachung, betr. die
chemische Untersuchung des Weines, v. 2. Juli 1901 (Centr. Bl. f. d. D. R. S. 234). Landesrecht-
liche Bestimmungen: Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Ges. v. 19. Aug. 1901 (Centr.=
Bl. S. 301) und v. 31. März 1904 (Centr. Bl. S. 41). Ferner Verordnung v. 14. Jan. 1902
(Centr. Bl. S. 5) und v. 30. Mai 1901 (Centr. Bl. S. 137), betr. die amtlichen Weinprüfer; Kais.