§ 3 Das Gesetz, betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879. 13
nicht täuschen. Der Landesausschuß war durch Reichsgesetz geschaffen und konnte
durch Reichsgesetz wieder beseitigt werden, seine Existenz war also vollständig in den
Willen des Reiches gestellt. Wenn nun auch der Landesausschuß kein Landtag im
staatsrechtlichen Sinne war 5, so war er doch auch kein bloßer Provinziallandtag;
„er übte“, wie Laband (II 229) es ausdrückt, „alle Rechte in vollem Umfang und
mit voller Wirksamkeit aus, wie sie in konstitutionellen Staaten der Volksvertretung
zuzustehen pflegen“; er befand sich in dieser Beziehung im vollen Gegensatz zu Kommunal=
vertretungen und Provinziallandtagen. Auf seine Mitglieder fanden insbesondere die
Vorschriften der Reichsgesetze zum Schutze der Volksvertretungen, insbesondere die
§&6 11, 12, 105, 106, 339 II St.G. B. Anwendung. Der Landesausschuß war also
eigentlich ein Organ des Reiches, eine Art stellvertretender Reichstag für Elsaß-Lothringen.
Was vom Landesausschuß gesagt ist, galt in gleichem Maße von der ganzen
staatsrechtlichen Organisation des Landes in dieser Epoche. Unbestrittene Tatsache ist,
daß durch das Gesetz von 1879 die Verfassung des Reichslandes derjenigen der Bundes-
staaten beträchtlich angenähert worden war. Vor allen Dingen — und das ist für die
Epoche von 1879 ab charakteristisch — hatte das Reichsland jetzt eine eigene Landes-
verwaltung. Der Reichskanzler war aus der Landesverwaltung ganz ausgeschieden.
Der an seine Stelle getretene Statthalter war nicht etwa ein Stellvertreter des
Reichskanzlers im Sinne des Gesetzes vom 17. März 1878, sondern ein Amtsnachfolger
mit allen Obliegenheiten, die früher dem Reichskanzler für reichsländische Angelegen-
heiten zugestanden hatten. Damit war auch zugleich die Folge verknüpft, daß eine Ver-
tretung des Statthalters durch den Reichskanzler und umgekehrt ausgeschlossen war.
Die Verwaltung des Reichslandes war von derjenigen des Reiches gesondert worden.
Die dadurch herbeigeführte Annäherung an den Charakter der Bundesstaaten wurde
noch dadurch verstärkt, daß dem Statthalter landesherrliche Befugnisse über-
tragen werden konnten. Wenn Elsaß-Lothringen gleichwohl kein Staat wurde, so hängt
dies, wie bereits hervorgehoben, damit zusammen, daß in letzter Linie die Reichsgewalt
in Elsaß-Lothringen die herrschende Gewalt blieb. Der Statthalter leitet seine Befug-
nisse von der Reichsgewalt ab, wie dies insbesondere in der kaiserlichen Ernennung zum
Ausdruck kommt 7. Es gab also in dieser Epoche jedenfalls keine von der Reichs-
gewalt verschiedene Staatsgewaltr.
Daß Elsaß-Lothringen durch das Gesetz von 1879 kein selbständiger Bundes-
staat geworden war, zeigte sich — auch abgesehen von den bereits angegebenen
Gründen — in der auch weiterhin beibehaltenen, wenn auch nur ausnahmsweise ge-
dachten Jusänane des Reichstags für die Gesetzgebung in Landes-
angelegenheiten, ferner aber namentlich darin, daß der Bundesrat an der
Landesgesetzgebung nach wie vor mitwirkte. Damit war dem Bundesrat nicht bloß in
bezug auf die eigentliche Gesetzgebung, sondern wegen des darunter fallenden Landes-
haushaltsetats, auch in bezug auf die Verwaltung und Finanzwirtschaft des Reichs-
landes ein Uberwachungs= und Mitbestimmungsrecht gegeben. Das Gefühl der „Be-
vormundung“ (Laband II 231), die praktische Erschwerung der Landesgesetzgebung durch
die im Bundesrat vertretenen Bevollmächtigten der Bundesstaaten, bei denen man wohl
die richtige Orientierung und das besondere Interesse für elsaß-lothringische Landes-
5 Wie dies Leoni S. 60 behauptet.
# * So Loening, Verwaltungsrecht,. S. 77; Schulze, Heutschet Staatsrecht, 1I S. u74:
G. Meyer, Staatsrecht. S. 390. And. Ans. Stoeber, Arch. f. öff. R. 1 S. 665. ·
! Im Gegensatz hierzu stehen die Minister der Bundesstaaten in keinem Dienstverhältnis zu
Kaiser und Reich, sondern nur zu ihrem Landesherrn. Laband II S. 223. ·
. SDementfprechenderklärenauchdicMotivczumGefetzv.4.Juli1879auszsdkückltch,,daß
die staatlichen Formen, welche das Reichsland bei der Einverleibung erhalten hat, im wesentlichen
unverändert bleiben“ (Drucks. d. Reichst. 1879 VI S. 1532), und in der Sitzung des Reichstags
erllärte der Vertreter des Reichskanzleramts für E.-L.: „Die Souveränität, welche nach dem Friedens-
vertrag und nach dem Vereinigungsgesetz beim Reiche beruht, wird demselben erhalten; die Staats-
gewalt, welche der Kaiser im Namen des Reiches auszuüben hat, sie verbleibt ihm; sie wird weder
in dem Titel, aus welchem sie abgeleitet ist, verändert, noch in ihrem Umfang erweitert oder ver-
mindert.“ Sten. Ber. II S. 1617. Stöber a. a. O. S. 653.