Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

16 Erster Teil. Die Entwicklungsgeschichte der reichsländischen Verfassung. * 4 
  
„Solange die Bestimmungen in § 1 und § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die 
Verfassung Elsaß-Lothringens vom 31. 5. 1911 in Kraft sind, führt Elsaß-Lothringen 
im Bundesrat drei Stimmen. Die elsaß-lothringischen Stimmen werden nicht gezählt, 
wenn die Präsidialstimme nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit 
für sich erlangen oder im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Satz 3 der Reichsverfassung den 
Ausschlag geben würde. Das gleiche gilt bei der Beschlußfassung über Anderungen 
der Verfassung. 
Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 und der Artikel 7 
und 8 der Reichsverfassung als Bundesstaat. 
Die elsaß-lothringischen Bevollmächtigten zum Bundesrat werden vom Statt- 
halter ernannt und instruiert."“ 
Die Kommission beschloß hierauf einstimmig, die erste Lesung als abgeschlossen 
zu betrachten; eine zweite und eine dritte Lesung schlossen sich an, ebenso eine vierte, 
deren Beratungen sich hauptsächlich auf die erste Kammer sowie den Religions= und 
Sprachenparagraphen bezogen. Am 11. Mai 1911 kam es zu einer Gesamtabstimmung 
über den Verfassungsentwurf; der Entwurf wurde mit 13 gegen 12 Stimmen abgelehnt. 
Nachdem die Kommission sodann am 19. Mai 1911 zuerst das Wahlgesetz in zweiter 
Lesung beraten hatte, trat sie in eine fünfte Lesung des Verfassungsgesetzes ein “. 
Im Reichstag kam es am 23. und 24. Mai 1911 zu teilweise erregten De- 
batten, die hauptsächlich die Verleihung der Bundesratsstimmen, die Zusammensetzung 
der Ersten Kammer, das Wahlrecht zur Zweiten Kammer und den Sprachen= und 
Religionsparagraphen betrafen. Hauptsächlich war es natürlich die Frage der 
Bundesratsstimmen, die diskutiert wurde. Der Reichskanzler von Bethmann- 
Hollweg führte hierzu folgendes aus: „Meinesteils erachte ich es für einen Vorteil, 
wenn Elsaß-Lothringen am Bundesrat beteiligt wird. Wer, wie ich, in der fortschreitenden 
Verselbständigung der Reichslande nicht nur eine notwendige Konsequenz der von Bis- 
marck inauguierten Politik, sondern zugleich ein Mittel erblickt, um das Land weiter 
zu entwickeln und damit mehr und mehr mit dem Reich zu verschmelzen, dem sind die 
Bundesratsstimmen eine Verbesserung. Ich bin auf die Regierungsäußerungen über 
die Inkongruenzen festgenagelt worden, welche darin liegen, daß man einem Glied des 
Reiches, das nicht Bundesstaat ist, Bundesratsstimmen gewährt. Ich gebe diese In- 
kongruenz zu, aber ich frage sie: Was wiegt schwerer, diese Inkongruenz oder die für 
die Reichslande eröffnete Möglichkeit, ihre Lebensinteressen gleich den übrigen Bundes- 
staaten im Bundesrat zu vertreten? Ihre Existenz ist ganz unabhängig von irgend- 
einer Verfassungsreform. Daß dieses Interesse gegenwärtig nicht so wie das der übrigen 
Bundesstaaten im Bundesrat mitsprechen kann, das wird in den Reichslanden als eine 
Zurücksetzung empfunden 
Die dritte Beratung im Reichstag endete damit, daß das Verfassungsgesetz in nament- 
licher Abstimmung mit 212 gegen 95 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen wurde s. 
Am 21. Mai 1911 erhielten die Gesetzentwürfe die Zustimmung des Bundesrats, 
und am 31. Mai 1911 erfolgte die Vollziehung derselben durch den Kaiser. Die Ver- 
kündung der Gesetze erfolgte in der Nummer 29 des Reichsgesetzblatts (1911 S. 225—239). 
Die Bestimmungen des Verfassungsgesetzes über die Bildung des Landtags und das 
Wahlgesetz treten mit dem Tage der Verkündung (6. Juni 1911) in Kraft; bezüglich 
der übrigen Bestimmungen sollte der Tag des Inkrafttretens durch kaiserliche Ver- 
ordnung festgesetzt werden; als äußerster Termin hierfür wurde der 1. Januar 1912. 
bestimmt (Art. 1II V. G. § 14 W. G.). 
6 Vgl. S. 45 des Komm. Ber. Nr. 1032 der Drucks. d. Reichstags. 
!* Verh. d. Reichst. Bd. 267, 12. Legislaturper. 2. Sess. Ber. S. 7039. 
§ Sten. Ber. 7158.
	        
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