Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

87 Die Staats= bzw. Landesangehörigkeit der Elsaß-Lothringer. 21 
geben. Daß man aus Zweckmäßigkeitserwägungen zu einer Fiktion die Husiucht 
genommen und das Reichsgesetz über den Erwerb und Verlust der Bundes-(Reichs.) 
und Staatsangehörigkeit unverändert in Elsaß-Lothringen eingeführt hat, kann an der 
wahren Sachlage nichts ändern. Man hat deshalb auch an Stelle des Begriffs „Staats- 
angehörigkeit“ den Ausdruck „Landesangehörigkeit“ gewählt, um eine Parallele zu den 
Einrichtungen der Bundesstaaten ziehen zu können 3. Nicht zu billigen ist dagegen die 
Vorstellung Brucks (150), der aufstellt, daß die elsaß-lothringische Landesangehörigkeit 
neben der Reichsangehörigkeit kein inhaltloses Recht sei; denn, so argumentiert der 
genannte Schriftsteller, „während in den übrigen deutschen Staaten das Reichs- 
bürgerrecht haltmacht an der Grenze, an der die Landesstaatsgewalt anfängt, geht 
es in Elsaß-Lothringen über sie hinaus In Elsaß-Lothringen äußert die Reichs 
angehörigkeit auch diejenigen Wirkungen, die sonst der Landesangehörigkeit charakteristisch 
sind. Dieses Plus — im Vergleich mit den übrigen Staaten — hebt aus der Reichs- 
angehörigkeit einen Teil von Rechten und Pflichten heraus, der die elsaß-lothringische 
Staatsangehörigkeit ausmacht.“ Mit diesem circulus vitiosus kann aber nicht weg- 
geleugnet werden, daß es sich doch eigentlich nur um die Reichsangehörigkeit, wenn 
auch in potenzierter Form handelt. 
II. Die Staatsangehörigkeit bedeutet den Zustand staatsrecht- 
licher Unterworfenheit unter die Gewalt eines Staatsgebildes“. Die 
Staatsangehörigkeit als bloße Zugehörigkeit zu einem Staat zu charakterisieren 5, wäre an 
sich juristisch farblos, aber auch ungenau, weil auch ein Ausländer z. B. in amtlicher Eigen- 
schaft einem Staat zugehören kann, ohne Staatsangehöriger zu sein. Aus der vorerwähnten 
Definition folgt eigentlich notwendigerweise, daß niemand zwei oder mehr Staats- 
angehörigkeiten besitzen kann; mit dem Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit muß 
an sich ohne weiteres die alte erlöschen. Wenn gleichwohl im Deutschen Reiche die 
Möglichkeit besteht, die verschiedenen Staatsangehörigkeiten der einzelnen Bundesstaaten 
hintereinander zu erwerben, so ist diese Inkonsequenz deshalb von nicht allzu großer 
Tragweite, weil die Staatsangehörigkeit vielfach hinter der Reichsangehörigkeit verblaßt, 
und ferner, weil die an die Staatsangehörigkeit in den Einzelstaaten geknüpften 
politischen Rechte gleichzeitig die Wahl eines festen Wohnsitzes in dem betreffenden 
Staat voraussetzen. Hinsichtlich des wichtigsten dieser politischen Rechte, des Wahl- 
rechts findet jedoch regelmäßig eine scharfe Scheidung zwischen den Angehörigen des 
Einzelstaates und den „Ausländern“ statt, und zwar findet dieser Grundsatz vielfach 
sogar auf das Gemeindewahlrecht Anwendung. Wenn die Landesgesetzgebung als 
Voraussetzung für dasselbe die Staatsangehörigkeit fordert, so ist die Reichsangehörigkeit 
nicht an deren Stelle getreten. Angehörige anderer Bundesstaaten sind in diesem 
Lande weder wahlberechtigt noch wählbar". Eine Ausnahme gilt jedoch für Elsaß- 
* In der Begründung des Entwurfs zum E.G. wird u. a. bemerkt, daß die Einführung des 
Staatsangehörigkeitsgesetzes sich durch die Erwägung empfiehlt, daß die franzöfische Ge#etzgebung den 
Erwerb der Staalsangehbrigkeit und die Teilnahme an politischen und teilweise bürgerlichen Rechten. 
abgesehen von der Abstomm#ng, in der Regel von der Naturalisation abhängig macht (val. Gesetz v. 
3. Dez. 1840 u. 29. Juni 1867). Die Bekleidung esenticher Amter bildet nach franz. Recht keinen 
Ersatz der Naturalisation. Da bei diesen gesetzlichen Bestimmungen die Lage der nach Elsaß= 
wothringen übergesiedelten Deutschen eine prekäre war, erfolgte die Einführung des Gesetzes vom 
. Juni 1870. 
Bis zum 8. Jan. 1873, dem Tag der Einführung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (publiziert am 
14. Jan. 1873, im G. Bl. f. E.-L.), galten in E.-L. die franzöfischen Gelgerbesinmee für den Erwerb 
und Verlust der Staatsangehörigkeit. Vgl. Leoni S. 18 H. 1, und wegen des jetzigen gesetzlichen 
Zustands: Lebon, Das Staatsrecht der franz. Republik, Bd. VI des öff R. d. Gegenwart. 
* Man fspricht von der Staatsangehörigkeit vielfach als von einem Status, ähnlich wie vom 
Alter, Geschlecht. Es ist dies jedoch nicht richtig. Dem Status ist eigentümlich das Beständige, 
Dauernde, Unveränderliche; die Staatsangehörigkeit kann dagegen verloren und nach dem Verlust 
wieder erworben werden. Bendix, Fahnenflucht 78. 
5 So Bruck I1 S. 45. 
* Laband I S. 158, 160 f. (vgl. pr. O. B G. v. 12. Dez. 1894: Reger, E. 15 S. 330). 
Der Say, daß jeder Angehörige des Neiches in jedem Einzelstaat als Inländer zu behandeln ist, ist 
nicht identisch mit dem Satz, daß jeder Angehörige des Reiches in jedem dazu gehörigen Staat 
Staatsbürger sei. 
 
	        
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