8 81 Die Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen. 359
recht kommt das Planfestsetzungsrecht , d. h. die Entscheidung darüber, welche
Gestalt der Bahnanlage in all ihren Einzelteilen zu geben ist sowie darüber, ob und
welche Ersatz= und Sicherungsanlagen aus Anlaß des Bahnbaues im öffentlichen Inter-
esse an anderen öffentlichen Anlagen oder an Privatgrundstücken vorzunehmen sind
(Begr. S. 21), in Frage. Als weiterer Ausfluß des Eisenbahnhoheitsrechtes des
Reiches kommt neben der Ausübung der Bahnpolizeif-0 die nach dem noch geltenden
französischen Verwaltungsrecht gegebene Ausstattung der Verwaltung mit einer Reihe
von Zwangsrechten zur Ausführung von öffentlichen Unternehmungen hinzu.
Das Enteignungs verfahren dagegen, soweit es sich auf die Abtretung des
Grundeigentums und die Festsetzung der Entschädigung bezieht, ist Sache der Landes-
behörden; indessen beschränkt sich die Tätigkeit sowohl der Bezirkspräsidenten wie
des Landgerichts im Grunde genommen nur auf die lberprüfung der Formvorschriften,
ohne daß ihnen in sachlicher Hinsicht ein Einfluß eingeräumt wäre :1; zudem könnte
das Reich sich jederzeit auch hinsichtlich des Enteignungsverfahrens durch Sondergesetz
an die Stelle der Landesbehörden setzen.
VII. Bei dem Bau von Eisenbahnen wird vielfach öffentliches Gut des
Landes, der Bezirke oder der Gemeinden in Anspruch genommen. Eine Enteignung
des öffentlichen Gutes, die an sich schon nach herrschender Ansicht unstatthaft wäre 2#,
kommt deshalb nicht in Frage, weil eine Anderung der Zweckbestimmung des öffent-
lichen Gutes (Widmung) genügt.
Da die Anlage der Eisenbahn der Genehmigung der höchsten staatlichen Ver-
waltungsbehörde bedarf, so wird an sich mit dieser Genehmigung auch bestimmt, was
mit dem öffentlichen Gut (Weg) geschehen soll. Da nun aber in Elsaß-Lothringen
keine Identität zwischen derjenigen Behörde besteht, welche die Genehmigung zum Bau
der Eisenbahn erteilt und derjenigen, welche die ustimmung zu einer Zweckänderung
des öffentlichen Eigentums erteilt, so ist hier ein Nebeneinanderwirken der Reichs= und
der Landesbehörden erforderlich.
Die Widmungsänderung und die gleichzeitig damit erfolgte Zurverfügungstellung
des im öffentlichen Eigentum stehenden Geländes an eine andere Verwaltungsbehörde
bedarf der Zustimmung derjenigen Landesbehörden, welche in bezug auf
den betreffenden Bestandteil des öffentlichen Gutes zur Ausübung der Polizeigewalt
berufen sind ?8.
Die Auffassung, daß der Reichskanzler für diese Zustimmung zuständig sei, kann
seit dem 1. Oktober 1879 jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten werden, da derselbe
nur bis zu diesem Zeitpunkte die Befugnisse aller (französischen) Minister in seiner
Person vereinigt hatte, seither aber nur noch diejenigen des Ministers der travaur
lands sowie des § 53 der Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands v. 5. Juli 1892 hat
der Chef des Reichsamts für die Reichseisenbahnen bestimmt, daß für die Reichseisenbahnen in E.-L.
als „Landesaufssichtsbehörde“ das Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen und ale
„Aufsichtsbehörde" die Generaldirektion zu gelten habe. Verf. v. I7. Dez. 1892. Betreffs der nicht
zum Netz der Reichseisenbahnen gehörenden Nebenbahnen ist Landesaufsichtsbehörde das Ministerium,
Aussichtsbehörde die sicchirkspräfidenten Bek. d. Statthalters v. 23. März 1905 (Centr. Bl. S. 164).
1° Die Linienführung der Eisenbahnen braucht sich um etwa bestehende Fluchtlinien= oder
Bebauungspläne nicht zu kümmern. Vgl. R. Friedriche in Off. Arch. 15 S. 307.
7° Durch das Eisenbahnpolizeigeset v. 15. Juli 1845 (Bull. des lois série INX
Nr. 12095) sind den Verwaltungsbehörden zum Schutze der Bahnanlagen und zur Sicherung des
Eisenbahnbetriebes eine Reihe von Befugnissen übertragen, die bezüglich der Reichseisenbahnen den
Reichseisenbahnbehörden zustehen. Nach der Begr. S. 22 ergibt sich aus dem gleichen Gesichtspunkt
auch die Zuständigkeit der Reichseisenbahnverwaltung zum Erlasse von Abgrenzungsakten be-
züglich des zu Reichseisenbahnlinien gehörigen Bahnkörpers.
1 Der Bezirkspräsident (Landesbehörde) erläßt den Abtretungsbeschluß (Art. 2 Nr. 3, Art. 11
Enteign. Ges. v. 3. Mai 1841) bezüglich der einzelnen Grundstücke und ihrer Teile, die in den
Enteignungsplan einbezogen werden, während die allgemeine VLinienführung durch die
Reichsverwaltung acagert wird. ç
„ Val. Molitor--Stieve S. 182 und die dort Zit.; ferner O Mayer, Off. Arch. 15 S. 514.
i2 Dalloz, Rep. vo Communce Nr. 2312. Hinsichtlich der Bizinalstraßen ist diese Polizei-
gewalt durch Art. 9 Ges. v. 21. Mai 1886 dem Bezirkspräfidenten übertragen, so daß dessen Zu-
stimmung gegebenenfalls erforderlich wäre.