:3276 Fünfter Teil. Das Staatskirchenrecht. * 84
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ein verschiedenes; es ist zu unterscheiden zwischen den inneren kirchlichen Angelegen-
heiten, den gemischten Angelegenheiten (affaires mixtes) und den Angelegenheiten der
Vermögensverwaltung.
1. Innere Kirchenangelegenheiten sind die in das Gebiet des „pouvoir
spirituel“ fallenden Gegenstände, z. B. das Glaubensbekenntnis, die Vorschriften über
die Form der Sakramente, der Gottesdienst, die Ordination der Geistlichen, die kanonischen
Rechte und Pflichten derselben und die Kirchendisziplin 11; sie unterliegen nicht der
staatlichen Gesetzgebung, Da der Staat indessen bei der Anerkennung einer Religions=
gesellschaft deren Lehre nur in dem damaligen Bestand hat schühen wollen, muß ihm auch eine
Kenntnisnahme und Überprüfung bezüglich der späteren Anderungen dieser Lehre ein-
geräumt werden. Dies ist bezüglich der katholischen Kirche in den Artikeln 1 und 3
der organischen Bestimmungen vorgesehen. Danach darf keine Bulle, kein Breve,
Reskript, Dekret, Mandat ½, keine Stellenverleihungsurkunde oder eine dieselbe ersetzende
Signatur noch eine andere Ausfertigung der römischen Kurie, selbst wenn sie sich nur auf
Privatpersonen bezieht, ohne Ermächtigung der Regierung angenommen, veröffentlicht,
gedruckt oder in anderer Weise in Vollzug gesetzt werden (Plazet). Nur bezüglich der
Breves der Poenitentaria apostolica ist durch das Dekret vom 28. Februar 1810 eine
Modifikation eingetreten (Art. 1). Die Beschlüsse auswärtiger Synoden und selbst der
Generalkonzilien dürfen erst veröffentlicht werden, wenn die Regierung deren Form und
deren Übereinstimmung mit den Gesetzen, Rechten und Prärogativen des Staates geprüft
und sich davon überzeugt hat, daß durch die Publikation die öffentliche Ruhe nicht
gestört wird (Art. 3). Ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Regierung kann ferner
kein National= oder Mrtropolitankonzil, keine Diözesansynode und überhaupt keine
beratende Versammlung stattfinden (Art. 4). Alle geistlichen Amtshandlungen haben
ferner, mit Ausnahme der Stolgebühren , unentgeltlich zu erfolgen. Schließlich darf
niemand, mag er sich Nuntius, Legat, apostolischer Vikar usw. nennen, ohne staatliche
Ermächtigung weder im In= noch im Ausland eine auf die einheimische Kirche bezüg-
liche Tätigkeit ausüben (Art. 2).
2. Die gemischten Angelegenheiten (affaires mixtes) sind ihrer Natur
nach ebenfalls kirchliche Angelegenheiten, berühren jedoch gleichzeitig die staatliche Ord-
nung und rechtfertigen deshalb gegebenenfalls das Eingreifen der Staatsgewalt. Im
einzelnen wird über sie, ebenso wie 3. über die Vermögensverwaltung, weiter
unten im Zusammenhang gehandelt werden.
. Den protestantischen Kulten gegenüber ist die Aufsichtsgewalt des
Staates noch eine weitergehende. Die Ausübung geistlicher Berufshandlungen setzt dte
Staatsangehörigkeit der betreffenden Person voraus 14. Die protestantischen Kirchen-
gemeinden und deren Pfarrer dürfen mit auswärtigen Mächten und Obrigkeiten nicht
in Verbindung stehen 15 (Art. 3). Keine Entscheidung über Lehre und Dogma, keine
Formel, sie mag als „Bekenntnis“ oder in irgend anderer Weise bezeichnet sein, darf
veröffentlicht oder gelehrt werden, bevor die Regierung die Ermächtigung zur Ver-
öffentlichung oder Promulgation erteilt hat (Art. 4). Gleiche Ermächtigung ist bei
einer Anderung der Bestimmungen über die Disziplin erforderlich.
C. Hinsichtlich des ifraelitischen Kultus kommt Artikel 54 der Verordnung
vom 25. Mai 1844 in Frage, wonach keine Lehre und kein Glaubenssatz ohne Zu-
stimmung der Regierung veröffentlicht oder Gegenstand der Lehre werden kanns.
Weiterhin ist es den israelitischen Religionsdienern verboten, einen Unterricht oder eine
Gesetzesauslegung zu geben, welche den Beschlüssen des großen Sanhedrin 17 oder den
genehmigten Beschlüssen späterer Synodalversammlungen widersprechen.
» «Vgl.Art.9f.derOrgainArtikelxDurfyIS.4Af.uan.Niednet,DerBe(u-issber
innerkirchlichen Angelegenheiten, in der Festschrift für A. Thon, 1911.
17 Über den Unterschied dieser Bezeichnungen vgl. Dursh 1 S. 40; Gaudry I S. 130.
13 Diese müssen durch Verordnung eiugelassen und dem Betrage nach bestimmt sein. Art. 5.
14 Bgl. zum Folgenden die Organ. Artikel Art. 1 f.
½ Bei Vermeidung der Gestrafung nach Art. 207 C. pén.
16 Ver. v. 25. Mai 1844. Vgl. Leoni-Mandel S. 288; Dursy I S. 132.
11 Es ist die im Jahre 1808 von Napoleon zusammengerufene Versammlung von Notabeln