8 85 Die gemischten kirchlichen Angelegenheiten (affaires mixtes).
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Prozessionen in Frage. Nach der französischen Verwaltungspraxis, die von der
deutschen Regierung stillschweigend übernommen worden ist, ist es den Katholiken
grundsätzlich verboten, in Städten, in welchen sich eine protestantische Kirche 18 befindet,
außerhalb der Kirche Prozessionen 1 abzuhalten; tatsächlich werden aber an solchen
Orten Prozessionen geduldet 15, wenn sie auf Herkommen beruhen und die Anders-
gläubigen keinen Widerspruch dagegen erheben 160. Das Verbot des Artikels 45 ist für
die Behörden bindend; sie können nicht von demselben dispensieren, dagegen können sie
nach feststehender Praxis unerlaubte Prozessionen stillschweigend dulden.
III. Das Glockengeläute. A. Katholischer Kultus. 1. Das Glocken-
geläute war ursprünglich nur als äußerliches Mittel zur Zusammenberufung der
Gläubigen gedacht, ist aber bald zu einer kirchlichen Solennität geworden. Von der
Frage nach dem Benutzungsrecht der Glocken ist streng zu scheiden diejenige nach dem
Eigentum an denselben. Die letztere Frage beantwortet sich auf Grund der tat-
sächlichen Verhältnisse. Maßgebend ist einerseits das Fabrikdekret vom 30. De-
zember 1809 (Art. 27, 37, 55), wonach die Kirchenglocken, als in erster Linie zu
kirchlichen Zwecken bestimmt, der Kirchenfabrik gehören, soweit nicht bei der An-
schaffung der Glocken etwa besondere Vereinbarungen getroffen sind; andererseits kommen
die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts in Betracht (Art. 524, 523 C. c.; §§ 93 f.
B. G. B.), wonach bewegliche Gegenstände durch Verbindung mit unbeweglichen selbst
wesentliche Bestandteile der letzteren werden können. Das letztere wird regelmäßig der
Fall sein, so daß die Kirchenglocken als Eigentum des Eigentümers der Kirche selbst,
also nach der nunmehr wohl nicht mehr zu bestreitenden Ansicht ! der Zivilgemeinde
gelten müssen.
2. Als Grundsatz für die Benutzung der Glocken muß gelten, daß An-
ordnungen über das Geläut zu kirchlichen Zwecken von den geistlichen, zu weltlichen
von den weltlichen Obrigkeiten zu treffen sind. Durch die Bestimmung des Artikels 1
des Konkordats ist der Staat jedenfalls in keiner Weise gehindert, über eine den kirch-
lichen Gebrauch nicht ausschließende Benutzung der Glocken zu verfügen 18. Der Schluß-=
satz des Artikels 48 des Gesetzes vom 18. germ. X verbietet den Geiftlichen und nicht
minder jedem Dritten, auch wenn derselbe die Zustimmung des Geistlichen haben
sollte, jeden Gebrauch der Kirchenglocken ohne Erlaubnis des Bürgermeisters, also des
Trägers der Ortspolizei. Aus Anlaß dieser Bestimmung ist die bekannte Streitfrage
das Prozessionsverbot sich nur auf solche Städte erstreckt, in welchen sich eine evangelische Kon-
sistorial kirche befindet, so ist diese Auslegung lediglich darauf zurückzuführen, daß die damalige
Organisation der protestantischen Kirche nur die Konsistorialkirche als Kirche in rechtlicher Gestaltung
anerkannte. Dieser Zustand änderte sich mit dem org. Dekr. v. 26. März 1852 und dem Dekr. v.
1852 insofern, als hierdurch den einzelnen protestantischen Pfarreien juristische Persönlichkeit mit
selbständiger Vertretung und Vermögensverwaltung eingeräumt wurde. Der Unterschied zwischen
protestantischen Konfistorial- und Pfarrkirchen ist somit weggefallen. Bgl. auch Kass. Hof. v. 26. Mai
1882, D.P. 1882. 1. 997 und Staatsratsentsch, v. 27. Juli 1882; Dalloz, Suppl. culte Nr. 175,
und v. 3. März 1894, D.P. 1895. 3. 75 Zu den "temples destinés à differents cultes“ ehören
an sich nicht die Synagogen des israelitischen Kultus. Indessen hat sich später eine abweichende Auf-
fassung gebildet. Geigel, Franz. Staatskirchenrecht, S. 46 Anm. J.
17 Bei Prozessionen Hnerhalb von Gärten ist zu unterscheiden, ob sie vom Außenverkehr
ab Hschlosen T und man nicht hindurchsehen kann. Dies ist jedenfalls bei Anlagen um Kirchen
nicht der Fall.
15 pa einem durch Herkommen erworbenen Recht auf Abhaltung von Prozessionen kann
angesichts der gesetzlichen Bestimmung des Art. 45 keine Rede sein. Abw. Geigel, Reichs= und
reichsländisches Kirchenrecht, I § 11 Anm. 2 u. 10.
16 Dieser Standpunkt ist besonders klar in dem Min. Zirk. v. 3. Mai 1849 dargelegt. Val.
hierzu das übereinstimmende Min. Zirk. v. 28. Mai 1872.
17 Eigentümer der Pfarrkirchen ist, soweit dieselben in Ausführung des Ges. v. 18. germ. X
zu den dem Gottesdienst zurückgegebenen Kirchen gehören, die Zivilgemeinde. An einer später er-
bauten Kirche steht das Eigentum demjenigen zu,. der dieselbe durch Kauf, Tausch, Schenkung oder
einen anderen Privatrechtstitel erworben hat. Vgl. L.G. Offenburg in Bad. Rechtspraxis 1909 S. 216.
18 Die in Art. 48 des Ges. v. 18. Ferm. X erster Satz statuierte Beschränkung, daß der
Bischof sich mit dem Präfekten einigen 46 üum die Modalitäten des Läutens zu regeln, ist im
politischen Interesse getroffen. Vgl. den Bericht von Portalis. Kommt eine Einigung nicht zu-
stande, so entscheidet das Kultusminsterium. In E.-L. bestehen derartige Reglements nicht. Es
kommen daher Gebräuche und Traditionen in Betracht.