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ihm als verfassungsmäßige, aber auch als ausreichende Grundlage nur Art. 1 des
Konkordatgesetzes 10. Die Frage nach der Geltung des Dekrets ist daher zu bejahen.
Eine besondere Vorschrift dahin, daß religiöse Sekten die Rechtsfähigkeit nur im Wege
der Gesetzgebung zu erlangen vermögen, besteht nur insoweit, als es sich um die Er-
langung der öffentlich rechtlichen, dagegen nicht der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit
handelt. Dies ist auch die Ursache, weshalb die Amtsgerichte bisher die Eintragung in
das Vereinsregister vorgenommen haben, wenn nicht seitens der Verwaltungsbehörde
Einspruch erhoben worden ist. Durch die Eintragung werden die fraglichen religiösen
emeinshaften nur juristische Personen des Privat= 11 und nicht des öffentlichen
echts. .
III. Wenn man von Mitgliedern der Landeskirche und vom Austritt aus der
Landeskirche spricht, so ist dies vom sprachlichen und juristischen Gesichtspunkt aus
nicht ganz zutreffend. Die Landeskirche ist kein Verein, der durch den Willen seiner
Mitglieder geschaffen worden ist, sondern sie ist eine Einrichtung zur Pflege des kirch-
lichen Lebens, welche auf gesetzlicher Grundlage beruht und vom Staate unterhalten
wird. Die Angehörigen des protestantischen Kults können demnach eher, um eine
Analogie zu gebrauchen, als Destinatäre des Instituts der Landeskirche gelten. Des-
halb gibt es auch keine Rechtssätze über die Zugehörigkeit zur Landeskirche und über
den Austritt aus derselben. Darin liegt auch kein Gewissenszwang begründet; denn
die Zugehörigkeit zur Kirche verpflichtet an sich zu nichts. Von diesem Grundsatz be-
standen bzw. bestehen noch zwei wichtige Ausnahmen: die eine betraf die Steuer-
pflicht auf Grund des Gesetzes, betreffend die Gehalts= usw. Verhältnisse der prote-
stantischen Pfarrer, die inzwischen durch Gesetz von 1909 wieder aufgehoben worden
ist. Die andere Ausnahme betrifft die religiöse Erziehung der Kinder, die
in den allgemeinen Unterrichtsplan durch die Schulgesetzgebung einbegriffen ist 18.
§ 89. Der israelitische Kultus. I. Der israelitische Kultus ist durch
Dekret vom 17. März 1808 staatlich anerkannt worden!, nachdem bereits die
Nationalversammlung am 28. Januar 1790 und am 29. September 1791 die Israeliten
als zu öffentlichen Amtern wählbar erklärt hatte. Die Anerkennung war jedoch insofern
keine vollständige, als die Kultusausgaben, insbesondere die Gehälter der jüdischen
Religionsdiener, nicht auf die Staatskasse übernommen wurden, sondern den Synagogen-
verwaltungen zur Last fielen. Dies änderte sich mit dem Gesetz vom 8. Februar 1831,
dessen einziger Artikel bestimmte: „Vom 1. Januar 1831 an beziehen die israelitischen
Religionsdiener ihre Gehälter aus der Staatskasse 7.“
Auf Grund des Dekrets vom 17. März 1808 traten an die Stelle der bis-
herigen Provinzialrabbiner die Bezirkskonsistorien mit je einem Oberrabbiner an der
Spitze; die Bezirkskonsistorien hatten als Unterabteilungen die Rabbinatssprengel
und diese wiederum die Synagogen. Die Ordonnanz vom 25. Mai 1844 beschränkte
das Wahlrecht zu den Konsistorien auf die Notabeln, wurde aber in seiner Wirkung
durch die an das Dekret vom 29. August 1862 sich anschließende Praxis gemildert 5.
II. Diese Kultusverfassung ist unter deutscher Herrschaft im wesentlichen ge-
blieben. Am Hauptorte eines jeden Bezirks befinden sich ein Bezirkskonsistorium und
die Konsistorialsynagoge, welcher ein Oberrabbiner vorsteht; in den Rabbinatsbezirken
sind Gemeinderabbiner und bei den Synagogen Vorsänger oder Unterrabbiner an-
10 Denn die Verfassung ermächtigt das Staatsoberhaupt nur zum Erlaß v. regl. décr. necess.
pour LUexécution de la loi. Die Verfassungsbestimmung über die Gewissensfreiheit dürfte aber
aum eine geeignete gesetzliche Grundlage für den Erlaß der Verordnung abgeben.
11 Es ist denselben Überdies unbenommen, sich als G. m. b. H. oder als Genossenschaft
niederzulassen. » «
12 Dem Vater steht lediglich das Recht zu, die Konfession des Kindes zu bestimmen, er kann
dasselbe aber nicht von obligatorischen Unterrichtsstunden entbinden. Vgl. Molitor-Stieve S.429.
[#I 89] 1 Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs bei Halphen, Recuneil des lois, décr. ete.
Concernant les Israslites S. 389 f.
2 Napoleon I. hatte zur Vereinheitlichung der Verfessung und der Lehre die Notabeln der
Indenschaft aus Frankreich und Italien nach Paris berufen und am 17. März 1808 die Schluß-
beratung dieses großen Sanhedrin bestätigt. * Geigel II S. 102.