394 Fünfter Teil. Das Staatskirchenrecht. 8 89
gestellt. Mehr als eine Konsistorialsynagoge darf in einem Verwaltungsbezirk nicht
errichtet werden?. Die Errichtung und Abgrenzung der Konsistorial- und Rabbinats-
bezirke erfolgt durch kaiserliche, vom Statthalter zu vollziehende Verordnung #. Die
Einrichtung von Synagogen gestattet das Ministerium 7, und zwar auf den Vorschlag
der Konsistorialsynagoges.
III. Die Bezirkskonfistorien waren in Frankreich einem Zentralkonsistorium
in Paris untergeordnet. Die Tätigkeit desselben beschränkte sich nicht lediglich auf
die Abgabe von Gutachten, sondern es hatte eine Vermittlerstelluug zwischen dem
Kultusministerium und den Bezirkskonsistorien, ferner die oberste ÜUberwachung der
Interessen des israelitischen Kultus; es genehmigte ferner die Reglements für die Aus-
übung des Kultus, die Bücher für den Religionsunterricht, hatte die Zensur über die
Laienmitglieder der Konsistorien und nach gutachtlicher Anhörung des Bezirksrabbiners
über die Gemeinderabbiner ?. Ferner stellte es die Diplome ersten und zweiten Grades
für die Ausübung der Rabbinatsfunktionen aus, ernannte die Bezirksoberrabbiner auf
Präsentation dreier Rabbiner durch das Bezirkskonsistorium, und zwar mit kaiserlicher
Bestätigung 10. Der Oberrabbiner des Zentralkonsistoriums hatte insbesondere die
Aufsicht über die israelitischen Kultusdiener, er konnte in allen Synagogen Frankreichs
predigen, hatte die Bücher für den Religionsunterricht in den israelitischen Schulen zu
beantragen usw.
IV. Auf Grund des § 23 des Gesetzes vom 30. Dezember 1871 (G.Bl. 1872
Nr. 2) über die Einrichtung der Verwaltung wurde nun durch Verordnung des Ober-
präsidenten bestimmt: Die Funktionen des israelitischen Zentralkonsistoriums werden,
oweit nicht ein anderes ausdrücklich bestimmt ist, bis auf weiteres von den israelitischen
ezirkskonsistorien, und zwar von jedem derselben für seinen Bezirk ausgeübt (§ 1).
Diejenigen Funktionen des Zentralkonsistoriums, welche mit dem Staatsaufsichtsrecht
zusammenhängen, werden bis auf weiteres durch die Bezirkspräsidenten ausgeübt.
Insbesondere sind die Bezirkspräsidenten die Mittelbehörde zwischen den Bezirks-
konsistorien und dem Oberpräsidenten (Art. 10 I Ord. vom 15. Mai 1844) und steht
ihnen die Ausübung der in Art. 11 Abs. 2. Art. 12 Abs. 4 S. 2, Abs. 6—8 und
Art. 23 II Ord. vom 25. Mai 1844 dem Zentralkonsistorium überwiesenen Befugnisse
zu11. Kurz ausgedrückt, es sind die Besfugnisse des Zentralkonsistoriums, soweit sie
mit dem Staatsaussichtsrecht zusammenhängen, den Bezirkspräsidenten, im übrigen aber
den Bezirkskonsistorien übertragen.
V. 1. Die Bezirkskonsistorien bestehen aus dem Oberrabbiner und sechs Laien,
welche von den Notabeln des Bezirks gewählt werden 12. Wählbar sind die in der
vom Bezirkskonsistorium aufgestellten und vom Bezirkspräsidenten abgeschlossenen Wähler-
liste eingetragenen Notabeln, die dreißig Jahre alt sind, die Reichsangehörigkeit besitzen,
sich im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und weder in Konkurs gefallen
" Art. 1 Ord. v. 25. Mai 1844 u. Art. 1 f. Dekr. v. 29. Aug. 1862.
5 Art. 3 Dekr. v. 17. Däh 1808.
* Art. 4, 60 Ord. v. 25. Mai 1844; Ver. v. 23. Nov. 1907 (R.G.Bl. S. 759).
7 Art. 60, 62 Ord. v. 25. Mai 1844.
5 Die Bestimmungen des Dekr. v. 17. März 1808 (welche das Reglem. über die Organisation
des israel. Kultus in Vollzug setzte) sowie die Ord. v. 25. Mai 1844 brtreffen jedoch immer nur
die Frage nach der staatlichen Anerkennung einer ifraelitischen Kultstätte. öllig verschieden
davon ist die polizeiliche Zulassung von Vereinen anerkannter wie nicht anerkannter Kulte, welche
zu religlösen Zwecken außerhalb der staatlich anerkannten Kultusstätten zusammenkommen. Diese
richtet sich nach den Bestimmungen über das Vereinsrecht. Vgl. Gaudry III S. 598 u.
1 Nr. 217; Dalloz, Rép. v. culte Nr. 84; Sirey- Gilbert zu Art. 291—294 C. p. Nr. 11.
* Vgl. Ord. v. 15. Mai 1844 Art. 10. 11, 20, 23, 51, 57.
10 Bal. Dekr. v. 29. Aug. 1862, Art. 3. 9, 38. -
11 Diese ursprünglich nur als provisorisch gedachten Bestimmungen sind zweifelsohne reform-
bedürftig. Die Verf. des Oberpräs. könnte durch eine Ministerialverordnung ersetzt werden. Eine
endgültige Regelung der einschlägigen Fragen würde die Ersetzung der Vorschriften der Ord. v.
25. Mai 1844 durch eine Kais. Verordnung erfordern; eine solche würde genügen, da die Ordonnanz
keine Gesetzeskraft besitzt.
18 Über das Wahlverfahren vgl. Art. 31 f. der Ver. v. 25. Mai 1844, Art. 6 f. Dekr. v.
29. Aug. 1862 und Dekr. v. 5. Febr. 1867.