26 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 88
Da es sich um eine „Kann“-Vorschrift handelt, liegt es im freien Ermessen der
Zentralbehörde, ob sie die Verlustigerklärung bewirken will oder nicht; Entschuldigungs-
gründe können daher in vollem Maße berücksichtigt werden. Die Streitfrage, ob die
Verlustigerklärung als Strafe aufzufassen ist, dürfte in bejahendem Sinne zu beantworten
sein 29, mithin erstreckt sich dieselbe nicht ohne weiteres auf Frau und Kinder.
4. Kraft Gesetzes verliert seine Staatsangehörigkeit: a) ein Deutscher, der
im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hat, wenn er auf
seinen Antrag eine ausländische Staatsangehörigkeit erwirbt; der Verlust der Staats-
angehörigkeit tritt jedoch nicht ein, wenn er vorher auf seinen Antrag die schriftliche
Genehmigung der zuständigen Behörde seines Heimatstaates zur Beibehaltung seiner
Staatsangehörigkeit in einem anderen Bundesstaat erhalten hat (§ 25); b) ein militär-
pflichtiger Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden
Aufenthalt hat, mit der Vollendung des 31. Lebensjahres, sofern er bis zu diesem Zeit-
punkt noch keine endgültige Entscheidung über seine Dienstverpflichtung herbeigeführt
hat, auch eine Zurückstellung über diesen Zeitpunkt nicht erfolgt ist (§ 26 1), c. ein fahnen-
flüchtiger Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden
Aufenthalt hat, mit dem Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntmachung des Beschlusses,
durch den er für fahnenflüchtig erklärt worden ist (§ 26 II).
C. Eine Wiederverleihung der Staatsangehörigkeit kann in den Fällen
des § 26 Abs. 1 u. 2 nur nach Anhörung der Militärbehörde erfolgen. Wird jedoch
der Nachweis erbracht, daß ein Verschulden nicht vorliegt, so darf die Einbürgerung
von dem Bundsstaate, dem der Betreffende früher angehörte, nicht versagt werden
(§ 26 III). Weiterhin muß ein ehemaliger Deutscher, der vor dem Inkrafttreten
des Gesetzes vom 22. Juli 1913 die Reichsangehörigkeit a) durch Entlassung verloren
hat, aber bei Anwendung des § 211 nicht als entlassen gelten würde, b) durch zehn-
jährigen Aufenthalt im Auslande verloren hat (§ 21 Ges. vom 1. Juni 1870), von
dem Bundesstaat, in dessen Gebiet er sich niedergelassen hat, nach den näheren Be-
stimmungen der §§ 30, 31 wieder eingebürgert werden.
§ 8. Die Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen. Die Reichsangehörigkeit
und die Staatsangehörigkeit lassen sich gegenseitig nicht klar abgrenzen. Der einzelne
Staatsbürger hat im Reiche nicht etwa zwei Staatsgewalten über sich, welche nebeneinander-
geordnet sind, und von denen jede einen Teil der Obrigkeit in sich schließt, sondern er
hat zwei Staatsgewalten über sich, welche einander übergeordnet sind: die Reichsunter-
tänigkeit ist keine unmittelbare, sondern eine mittelbare (Laband S. 1 130). Das
Staatsbürgerrecht ist das primäre Verhältnis, es zieht ohne weiteres das Reichsbürger-
recht nach sich; die Staatsangehörigkeit kann auch wechseln, während das Reichsbürger-
recht unverändert bleibt. Diese für das Reichsgebiet geltenden Grundsätze erleiden nur
hinsichtlich E.-L.S eine Ausnahme, weil es hier streng genommen nur eine Reichs-
angehörigkeit gibt.
Die Herrschaftsgewalt des Staates ergreift an sich die Staatsangehörigen wie
die Fremden, ja letztere sogar vielfach noch in höherem Maße wie die Einheimischen.
Während sich die Staatsgewalt gegen die Ausländer aber nur dann äußern kann, wenn
dieselben oder ihr Vermögen sich im Inlande befinden, ist die Person des Staats-
angehörigen mit dem Staate durch rechtliche Bande verknüpft, und äußert also auch
dann Wirkungen, wenn er im Ausland weilt.
Entsprechend dem bundesstaatlichen Charakter des Reiches, gibt es einen engeren
und einen weiteren Rahmen von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten. In Elsaß-
Lothringen, wo keine von der Reichsgewalt verschiedene Einzelstaatsgewalt existiert, sind
an sich alle Rechte und Pflichten der Landesangehörigen unmittelbare Rechte und
Pflichten gegenüber dem Reich. Das Reichsrecht ist hier umfassender als im sonstigen
Bundesgebiet, es begreift auch alle diejenigen Befugnisse in sich, die sonst dem Landes-
recht zufallen. Nur mit Hilfe einer Fiktion stellt man auch hier die Reichsangehörigkeit
der Staats= resp. Landesangehörigkeit gegenüber. In gewissen internen Beziehungen
*9 Leoni S. 27. And. Ans. Cahn S. 144.