Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

88 Die Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen. 27 
  
greift auch in E.-L. der Unterschied zwischen Inländern und Fremden (Ausländern) Platz. 
Die hierauf beruhenden Rechtsungleichheiten sind indessen wie im übrigen Reichsgebiet, 
so auch hier, durch Art. 3 R.V. (Reichsindigenat) größtenteils außer Wirkung 
gesetzt. Nach Art. 3 Abs. 1 R.V. gilt nämlich der Grundsatz: „Für ganz Deutschland 
besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Untertan, 
Staatsbürger) eines jeden Bundesstaats in jedem anderen Bundesstaat als Inländer 
zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffentlichen 
Amtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und 
zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie 
der einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes 
demselben gleich zu behandeln ist.“ Dieses Indigenat darf nicht etwa mit einem 
„Reichsbürgerrecht“ verwechselt werden § 3 R.V. enthält vielmehr lediglich den 
negativen Satz, „kein Deutscher darf in rechtlicher Beziehung ungünstigeren Regeln 
unterworfen werden als der Angehörige des eigenen Staates. Unter welchen positiven 
Voraussetzungen die Niederlassung, der Gewerbebetrieb, die Anstellung im Staatsdienst 
erfolgen muß, bestimmt der Einzelstaat 2. 
I. Die Pflichten der Staatsangehörigen. Sie decken sich mit den 
Pflichten der Reichsangehörigen?, nämlich dem verfassungsmäßigen Gehorsam und der 
Treue. Die umfassendere der beiden Pflichten ist die Treupflicht, denn im Falle einer 
Kollision wird die Treupflicht dem Heimatstaat, der Gehorsam dem Staate des Wohn- 
orts oder Aufenthalts geschuldet. 
1. Die Gehorsamspflicht entspricht der Unterwerfung unter die obrigkeitliche 
Herrschermacht. Der Staat legt sie indes auch Fremden aufs, welche sich in seinem 
Gebiet aufhalten und den Schutz und die Wohlfahrtspflege in diesem Staate mit- 
genießen, da auch sie der staatlichen Herrschermacht tatsächlich unterworfen sind. 
Mit dem Wegfall des staatlichen Machtbereichs fällt dieser lediglich faktische Zustand 
aber wieder fort. Auch bringt der Staat Fremden gegenüber seine Herrschermacht nur 
in beschränktem Maße zu Anwendung, insbesondere verlangt er von ihnen weder den 
Militärdienst noch die Führung von Amtsgeschäften oder andere öffentlich rechtliche 
Funktionen. 
2. Die Treue ist, wie Laband (1 143) hervorhebt, juristisch in ihrer negativen 
Richtung von Bedeutung, d. h. „sie ist die Rechtspflicht zur Unterlassung von Hand- 
lungen, welche auf Beschädigung des Staates abzielen.“ Der Staat bedroht zwar 
solche Handlungen, auch wenn sie von Ausländern begangen werden, sogar dann, wenn 
sie im Ausland von Ausländern begangen werden (St.G.B. § 4 Nr. 1), aber hier 
beruht dies nicht auf einer Rechtspflichtverletzung seitens des Ausländers, sondern 
1 Der Art. 3 R.B. stellt nach Laband (I S. 183) nur einen objektiven Rechtssatz hin, für 
dessen Anwendung das Reich und folglich auch das Reichsbürgerrecht gar keine logisch notwendige 
Voraussetzung ist. Deshalb konnte Art. 3 R.V. in E.-L. durch das Gesetz v. 9. Juni 1871 sofort 
in Wirksamkeit gesetzt werden, lange Zeit vor Einführung der R.V., und es war seine Einführung 
gerade dort wegen der rigorosen Härte, mit welcher das französische Recht Ausländer behandelt, 
besonders notwendig. » · 
2 Die praktssche Bedeutung des Art. 3 läßt sich nach Laband (a. a. O.) in folgende zwei Sätze 
usammenfassen: Erstens: „Alle in den einzelnen deutschen Staaten bestehenden Rechtsregeln! wonach 
heme ungünstiger als die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln sind, werden in Ansehung der 
ingehörigen der übrigen deutschen Bundesstaaten aufgehoben.“ Zweitens: „Kein deutscher Staat 
dam künftig im Wege der Gesetzgebung oder Verwaltung Anordnungen treffen, durch die Rechts- 
ungleichheiten zwischen den eigenen Angehörigen und den Angehörigen der übrigen deutschen Staaten 
begründet werden.“" Der Grundsatz zu 1. gilt nicht hinsichtlich juristischer Personen. (And. Anf. 
Isay, Die Staatsangehörigkeit juristischer Personen Hinsichtlich der Gewerbebetriebe kommen aber 
die Vorschriften der Gewerbcordnung in Betracht, welche den Grundsatz der Gewerbefreiheit gleich- 
mä "5• für böyülche und juristische #. donen aufstellen und nur hinsichtlich der juristischen Personen 
des Auslandes die Autonomie der Einzelstaaten aufrechterhalten. 
à Eine Trennung der beiden Sphären ist nicht möglich. Leoni (S. 17) nimmt in kon- 
seguenter Durchführung seiner Ansicht, daß der Kaiser Landesherr von E.-L. ist, an, die Gehorsams- 
pflichten des Elsaß-Lothringers gegenüber dem Kaiser als Landesherrn seien von denjenigen gegenüber 
der Reichsgewalt ebenso verschieden, wie dies bezüglich der Gehorsamspflicht der Preußen gegenüber 
ihrem König einerseits und der Reichsgewalt andererseits der Fall sei; ein abwegiger Standpunkt!
	        
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