88 Die Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen. 27
greift auch in E.-L. der Unterschied zwischen Inländern und Fremden (Ausländern) Platz.
Die hierauf beruhenden Rechtsungleichheiten sind indessen wie im übrigen Reichsgebiet,
so auch hier, durch Art. 3 R.V. (Reichsindigenat) größtenteils außer Wirkung
gesetzt. Nach Art. 3 Abs. 1 R.V. gilt nämlich der Grundsatz: „Für ganz Deutschland
besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Untertan,
Staatsbürger) eines jeden Bundesstaats in jedem anderen Bundesstaat als Inländer
zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffentlichen
Amtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und
zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie
der einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes
demselben gleich zu behandeln ist.“ Dieses Indigenat darf nicht etwa mit einem
„Reichsbürgerrecht“ verwechselt werden § 3 R.V. enthält vielmehr lediglich den
negativen Satz, „kein Deutscher darf in rechtlicher Beziehung ungünstigeren Regeln
unterworfen werden als der Angehörige des eigenen Staates. Unter welchen positiven
Voraussetzungen die Niederlassung, der Gewerbebetrieb, die Anstellung im Staatsdienst
erfolgen muß, bestimmt der Einzelstaat 2.
I. Die Pflichten der Staatsangehörigen. Sie decken sich mit den
Pflichten der Reichsangehörigen?, nämlich dem verfassungsmäßigen Gehorsam und der
Treue. Die umfassendere der beiden Pflichten ist die Treupflicht, denn im Falle einer
Kollision wird die Treupflicht dem Heimatstaat, der Gehorsam dem Staate des Wohn-
orts oder Aufenthalts geschuldet.
1. Die Gehorsamspflicht entspricht der Unterwerfung unter die obrigkeitliche
Herrschermacht. Der Staat legt sie indes auch Fremden aufs, welche sich in seinem
Gebiet aufhalten und den Schutz und die Wohlfahrtspflege in diesem Staate mit-
genießen, da auch sie der staatlichen Herrschermacht tatsächlich unterworfen sind.
Mit dem Wegfall des staatlichen Machtbereichs fällt dieser lediglich faktische Zustand
aber wieder fort. Auch bringt der Staat Fremden gegenüber seine Herrschermacht nur
in beschränktem Maße zu Anwendung, insbesondere verlangt er von ihnen weder den
Militärdienst noch die Führung von Amtsgeschäften oder andere öffentlich rechtliche
Funktionen.
2. Die Treue ist, wie Laband (1 143) hervorhebt, juristisch in ihrer negativen
Richtung von Bedeutung, d. h. „sie ist die Rechtspflicht zur Unterlassung von Hand-
lungen, welche auf Beschädigung des Staates abzielen.“ Der Staat bedroht zwar
solche Handlungen, auch wenn sie von Ausländern begangen werden, sogar dann, wenn
sie im Ausland von Ausländern begangen werden (St.G.B. § 4 Nr. 1), aber hier
beruht dies nicht auf einer Rechtspflichtverletzung seitens des Ausländers, sondern
1 Der Art. 3 R.B. stellt nach Laband (I S. 183) nur einen objektiven Rechtssatz hin, für
dessen Anwendung das Reich und folglich auch das Reichsbürgerrecht gar keine logisch notwendige
Voraussetzung ist. Deshalb konnte Art. 3 R.V. in E.-L. durch das Gesetz v. 9. Juni 1871 sofort
in Wirksamkeit gesetzt werden, lange Zeit vor Einführung der R.V., und es war seine Einführung
gerade dort wegen der rigorosen Härte, mit welcher das französische Recht Ausländer behandelt,
besonders notwendig. » ·
2 Die praktssche Bedeutung des Art. 3 läßt sich nach Laband (a. a. O.) in folgende zwei Sätze
usammenfassen: Erstens: „Alle in den einzelnen deutschen Staaten bestehenden Rechtsregeln! wonach
heme ungünstiger als die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln sind, werden in Ansehung der
ingehörigen der übrigen deutschen Bundesstaaten aufgehoben.“ Zweitens: „Kein deutscher Staat
dam künftig im Wege der Gesetzgebung oder Verwaltung Anordnungen treffen, durch die Rechts-
ungleichheiten zwischen den eigenen Angehörigen und den Angehörigen der übrigen deutschen Staaten
begründet werden.“" Der Grundsatz zu 1. gilt nicht hinsichtlich juristischer Personen. (And. Anf.
Isay, Die Staatsangehörigkeit juristischer Personen Hinsichtlich der Gewerbebetriebe kommen aber
die Vorschriften der Gewerbcordnung in Betracht, welche den Grundsatz der Gewerbefreiheit gleich-
mä "5• für böyülche und juristische #. donen aufstellen und nur hinsichtlich der juristischen Personen
des Auslandes die Autonomie der Einzelstaaten aufrechterhalten.
à Eine Trennung der beiden Sphären ist nicht möglich. Leoni (S. 17) nimmt in kon-
seguenter Durchführung seiner Ansicht, daß der Kaiser Landesherr von E.-L. ist, an, die Gehorsams-
pflichten des Elsaß-Lothringers gegenüber dem Kaiser als Landesherrn seien von denjenigen gegenüber
der Reichsgewalt ebenso verschieden, wie dies bezüglich der Gehorsamspflicht der Preußen gegenüber
ihrem König einerseits und der Reichsgewalt andererseits der Fall sei; ein abwegiger Standpunkt!