32 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. §9
Ausübung staatsbürgerlicher Rechte (Wahlrecht) ist der Fremde jedoch ausgeschlossen;
ebenso vom Heeresdienst, doch kann hier freiwilliger Eintritt gestattet werden “.
I. Der Ausländer kann im Gegensatz zum Inländer jederzeit ausgewiesen werden.
Die Ausweisung ist das staatliche Gebot, durch das einer Person der Aufenthalt
innerhalb des Staatsgebietes versagt wird, mag sie den Aufenthalt schon genommen
haben (Ausweisung im eigentlichen Sinn) oder ihn erst zu nehmen beabsichtigen (Ab-
weisung, renvoi) 5. Die Ausweisung kann sich auf das ganze Reich oder auf das
einzelne Staatsgebiet erstrecken, unter Umständen sogar auf einen einzelnen Bezirk be-
schränkt sein (Ortsverweisung).
Die Ausweisung als Akt der Fremdenpolizei unterliegt der Beaufsichtigung seitens
des Reiches und seiner Gesetzgebung (R.V. Art. 4 Z. 1). Das Reich hat sich jedoch
darauf beschränkt, nur für die Reichsverweisung die Gründe zu bestimmen und die
Behörden zu benennen sowie Vollzugsvorschriften zu erlassen (B.R.Beschl. v. 10. Dez.
1890 R. Zentr. Bl. 378) 6. Für Elsaß-Lothringen gilt auch noch das französische Gesetz
vom 3. Dezember 1849 Art. 7 (Bull. des Lois Série X Nr. 1814).
Im einzelnen sind die Ausweisungsgründe folgende: 1. Für die Reichsver-
weisung sind bestimmte Fälle reichsgesetzlich vorgesehen a) wenn auf Zulässigkeit der
Polizeiaussicht erkannt ist (§ 39 Z. 2 R. Str. G. B.), b) gegen gewerbsmäßige Glücks-
spieler (§ 284) oder c) wenn nach § 362 oder § 181 a (Zuhälter) die Überweisung an
die Landespolizeibehörde ausgesprochen ist. Die Ausweisung steht in diesen Fällen im
Ermessen der Landespolizeibehörde . 2. Die Landesverweisung richtet sich gegen
den „lästigen Ausländer“. Eine allgemeine Befugnis der Polizei, die „Lästigkeit“ zu
bekämpfen, besteht nirgends; dem Ausländer gegenüber können jedoch auch andere Ge-
sichtspunkte staatlicher Raison Platz greifen. Begründet kann die Maßnahme der Be-
hörde aber immer nur dadurch werden, daß Umstände gegenüber dem Fremden vorliegen,
die ein Einschreiten der Polizei überhaupt rechtfertigen. Es kommen in Frage: Ge-
fährdung politischer Interessen namentlich im Grenzland, Gefährdung der allgemeinen
Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (Gesundheit, Sittlichkeit), soziale oder wirtschaft-
liche Gefahren ; außergewöhnliche Umstände (Kriegsfall, Retorsion) bedingen ebenfalls.
ein Abweichen von den allgemeinen Grundsätzen.
Schranken bezüglich der Ausweisungsbesugnis bestehen, abgesehen von den Nieder-
lassungsverträgen, speziell gegenüber Franzosen; deren Ausweisung darf nicht erfolgen,
bevor Gründe und Beweisstücke den diplomatischen Vertretern oder Konsuln mitgeteilt
sind, und bevor dem Beschuldigten die nötige Zeit gewährt ist, um dem Aufenthalts-
staat seine Rechtfertigung zu unterbreiten. Die Ausweisung erstreckt sich ohne weiteres
auf die Angehörigen.
* Personen, welche nicht die deutsche, aber auch keine andere Staatsangehörigkeit besitzen,
können zum Militärdienst herangezogen werden, wenn sie ihren dauernden Aufenthalt in Deutsch-
land nehmen. R.Mil.Ges. § 11. Die gesetzliche Schulpflicht erstreckt sich grundsätzlich nicht auf
Fremde; durch positive Vorschrift ist sie in E.-L. jedoch auf solche erstreckt worden.
Seine Unterstützungspflicht gegenüber Fremden ertennt das Deutsche Reich grundsätzlich
an, und zwar ohne die Voraussetzung der Reziprozität. (Gesetz über den Unterstützungswohnsitz v.
:320. Mai 1908 § 60.)
5 v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch, S. 283.
Zuwiderhandlungen werden nach § 361 Z. 2 Str. G. B. (Bannbruch) bestraft. Zu beachten
sind hierbei die Nirderlafßene verträg- mit der Schweiz v. 31. Mai 1890 (R.G.Bl. S. 131); daneben
ist noch das Zusatzprotokoll v. 21. Dez. 1881 zu dem früheren Vertrag v. 27. April 1876 in
Geltung; ferner mit Niederland v. 17. Dez. 1904 (R.G.Bl. 1906 S. 879).
' An diesen Punkt knüpft sich eine bedeutsame Streitfrage: Im Falle des § 284 fehlt eine
zeitliche Begrenzung; in den Fällen der 58 39, 181 a, 362 ist dagegen eine Frist von 5 bzw. 2 Jahren
vorgesehen. Die herrschende Meinung erblickt in diesen Fristen, wenigstens für § 39, eine Begrenzung
der Dauer des Ausschlusses vom Reichsgebiet. Richtig ist aber die andere Ansicht, wonach die
Landespolizeibehörde innerhal der im Urteil bemessenen Frist den Verurteilten aus dem Reichsgebiet
ausweisen kann. (So auch der Vorentw. z. Str. G. B. § 53.) Vgl. v. Stengel-Fleischmann
a. a. O.
v. Frisch, Das Fremdenrecht. 1910; v. Stengel-Fleischmann S. 285.