34 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 10
Souveränität im Reiche (Art. 11 R.V.); der Kaiser ist nur ein Organ des Reiches und
repräsentiert das eigentliche Subjekt der Reichsgewalt (die verbündeten Regierungen).
Das deutsche Kaisertum ist untrennbar mit der Krone Preußen verbunden; der preußische
König ist ipso jure deutscher Kaiser; deshalb enthält die R V. auch über den Erwerb der
Kaiserkrone keinerlei Bestimmungen, maßgebend ist vielmehr das preußische Thronfolge-
recht. Die Staatsgewalt im Reiche kommt dem Kaiser zu, soweit nicht ihre Aus-
übung den Einzelstaaten belassen ist. Der Kaiser, und nur er allein, vertritt nach
außen hin das Reich Dritten gegenüber; im Innern liegt ihm die Regierung (Geschäfts-
führung) ob. Während aber im übrigen Reichsgebiet die kaiserliche Gewalt eine geteilte
ist, hat der Kaiser in Elsaß-Lolhringen die ungeteilte Exekutive. Der Kaiser übt im
Reichsland die dem Reiche zustehende volle Staatsgewalt aus. Durch die Einführung
der Reichsverfassung ist in Elsaß-Lothringen nicht etwa eine von der Reichsgewalt
verschiedene Staatsgewalt mit selbständigem Träger errichtet worden, vielmehr blieb
das Reich Träger der Staatsgewalt 2. Der Kaiser übt daher in Elsaß-Lothringen die
Staatsgewalt nicht als Monarch, sondern lediglich als Organ des Reiches aus;
aller die Stellung des Kaisers umfaßt hier mehr als die „präsidialen Befugnisse“; das
Kaisertum hat im Reichsland eine „territoriale Fundierung“ erhalten. (Laband II 233.)
Verkehrt wäre es aber, aus diesem Umstande auf eine landesherrliche Stellung des
Kaisers im Reichsland zu schließen 3. Einer solchen Auffassung steht nicht nur der
Wortlaut des § 3 Abs. 1 des Reichsgesetzes vom 9. Juni 1871, wonach der Kaiser
die Staatsgewalt in Elsaß'Lothringen ausübt (also nicht inne hat), sondern auch der
historische Entwicklungsgang der Institution des Kaisertums entgegen. Die Staats-
gewalt in Elsaß-Lothringen als Ausfluß der Reichsgewalt hat ihren Ursprung nicht
in der Reichsverfassung, sondern im Frankfurter Friedensvertrag. Der Kaiser hat kein
Recht am Reichsland im Sinne eines Titels, die kaiserliche Macht beruht vielmehr
auf dem Reichsgesetz vom 9. Juni 1871; daran ist auch durch die spätere Gesetz-
gebung, das Gesetz vom 4. Juli 1879 und das Verfassungsgesetz vom 31. Mai 1911,
nichts geändert worden. Daß der Kaiser nur als Organ des Reiches die Staatsgewalt
in Elsaß-Lothringen ausübt, ergibt sich besonders deutlich aus dem Umstand, daß die
Anordnungen des Kaisers vom Reichskanzler, also dem Reichsminister gegenzuzeichnen
sind (§ 4 Gesetz vom 9. Juni 1871). Vollzieht der Kaiser staatliche Akte in Ausübung
der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen, so geschieht dies „im Namen des Reichs“.
Auch nach dem Verfassungsgesetz vom 31. Mai 1911 §. 1 übt der Kaiser, wie
bereits hervorgehoben, die Staatsgewalt in Elsaß= Lothringen aus. In den Motiven
des Gesetzentwurfs (S. 9) wird die Unverändertheit des staatsrechtlichen Zustandes
mit folgenden Worten verdeutlicht: „Die Bestimmungen über die staatsrechtliche Stellung
des] Kaisers, des Statthalters und des Staatssekretärs für Elsaß-Lothringen entsprechen
dem bisherigen Recht. Sie sind in den vorliegenden Entwurf aufgenommen worden,
Standesbeamte § 54; Verf. d. Min. v 12. März 1902 (Sammlg. 27 S. 33):; Kisch, Eljah lothr.
Landesprivatrecht, S. 795, u. Bruck I S. 76. 4H nger Abkommen zur Regelung des Geltungs-
bereichs der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschließung v. 12. Juni 1902 (N.G.Bl. 1904 S. 221).
(F 10) 1 Laband, Neichsstaaterecht, 1 S. 211 f. u. die dort Zit.; Leoni S. 47; Bruck I S. 77;
Heim, Komm. S. 26; Schutze, Komm. zu § 1 V. G.
O Laband, Die geschichtliche Entwicklung der R.V., im Jahrb. d. öff. Rechts I S. 9
* So die Theorie Leonis, die beute wohl als erledigt gelten klann. Gegen diese Theorie
haben sich gewandt vor allem Laband II S. 233; Stoeber, Arch f. öff. Recht Bd. 1 S. 658:
G. Mayer, in Lbiths Annal. 1896 S. 260 f.; Rosenberg, Staatsrechtliche Stellung E.-L.8,
24: Bruck 1 S. 72; Heim S. 27: Hamburger, Die staatsrechtlichen Besonderheiten des
Keichelandes, S. 15 u. a. m. Leoni (S. 48) muß selber zugeben, daß die Stellung des Kaisers
als „Landesherr“ sich wesentlich von der Stellung der anderen deutschen Fürsten unterscheidet, da
diese Inhaber der Staatsgewalt kraft eigenen Rechts find, die Staatsgewalt des Kaisers in E.-L.
jedoch eine abgeleitete ist.
* Der §* 1 des Verf.Ges. sollte einem Kommissionsantrag zufolge den ausdrücklichen Zusatz
„im Namen des Reiches“ erhalten. Der diesbezügliche Antrag wurde jedoch abgelehnt mit der
Motivierung, daß dieser Zusatz auch im Gesetz v. 9. Juni 1871 § 3 fehle, und eine Veränderung
der rechtlichen Stellung des Kaisers nict erfolgen sollte. Komm. Ber., Drucks. 1909/11 Nr. 1032.
So auch Bassermann bei den Verh. d. Reichstags, 12. Legislaturper. 2. Sesss. (Bericht 13.—31. Mai
1911). Sten. Ber. S. 7043.