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Bundesstaaten 10. Soweit nicht in dem Verfassungsgesetze selbst ausdrücklich Vorbehalte
gemacht sind, übt Elsaß-Lothringen das Stimmrecht in gleichem Maße aus wie die
Bundesstaaten; es unterliegt naturgemäß auch den gleichen Beschränkungen wie diese.
Handelt es sich also um eine Angelegenheit, die nach den Bestimmungen der R.V. nur
einzelnen Bundesstaaten gemeinschaftlich ist, so werden nur die Stimmen dieser Bundes-
staaten gezählt (Art. 7 IV R.V.) 11.
Für Plenarabstimmungen ½ des Bundesrats wird nun von Bedeutung die von
Art. 1 Abs. 3 V.G. eingeführte doppelte Beschränkung:
1. „Die elsaß-lothringischen Stimmen werden nicht gezählt, wenn die Präsidial-
stimme nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen oder
im Sinme des Art. 7 Abs. 3 Satz 3 (Stimmengleichheit) den Ausschlag geben würde“ 18.
Die Einführung dieser Bestimmung beruht auf politischen Erwägungen (K.B. 11), man
wollte verhindern, daß die elsaß-lothringischen Stimmen lediglich die preußischen Stimmen
verstärkten, eine Möglichkeit, die angesichts des Umstandes, daß der König von Preußen
als deutscher Kaiser zugleich Träger der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ist, auch
kaum geleugnet werden konnte. An diesem Umstand wurde auch dadurch nichts ge-
ändert, daß die Instruierung der elsaß-lothringischen Stimmen dem Statthalter über-
tragen wurde, denn der Statthalter wird vom Kaiser ernannt und ist jederzeit absetzbar.
Grundsätzlich werden nach obiger Bestimmung allerdings die elsaß-lothringischen
Stimmen gezählt, und zwar einerlei, ob sie für oder gegen die preußische Regierung
abgegeben werden. Nur dann, wenn diese Stimmen unbedingt erforderlich sind, um
Preußen die Majoriät zu geben, werden die elsaß-lothringischen Stimmen bei der Zählung
nicht in Betracht gezogen; es ist dies dann der Fall, wenn Preußen allein nur 28 Stimmen
für seine Ansicht geltend zu machen vermag 14.
Laband (II S. 238) bemerkt bezüglich des § 6a Abs. 2, aus der Stellung des
Statthalters zum Kaiser ergebe sich, daß es als ausgeschlossen angesehen werden müsse,
daß der Statthalter den Kaiser (König von Preußen) niederstimme. Diese Ansicht
kann jedoch nicht unbeschränkt Geltung beanspruchen; was rein politische oder Angelegen-
heiten von staatsrechtlicher Bedeutung anlangt, so ist dies zweifelsohne richtig, dagegen
dürfte in rein wirtschaftlichen Fragen eine Stimmenabgabe gegen Preußen sehr wohl
im Bereiche des Möglichen liegen.
2. Die elsaß-lothringischen Stimmen werden ferner nicht gezählt bei der Beschluß-
fassung über Anderungen der Verfassung. Diese Klausel wurde nach einer Er-
klärung des Staatssekretärs des Innern (Delbrück) in der Sitzung vom 9. März 1911
deshalb für notwendig erachtet, weil Elsaß-Lothringen an der Vereinbarung der Ver-
fassung nicht mitgewirkt habe (ein wenig stichhaltiger Grund!); sodann aber wurde sie
hauptsächlich mit Rücksicht auf Bayern, Sachsen und Württemberg aufgestellt, die zusammen,
ebenso wie Preußen, nach dem Sinn der Reichsverfassung die Möglichkeit haben sollten,
durch ihr Votum jede Verfassungsänderung zu hindern (K. B. 11). Auch diese letzte
Begründung schlägt aber nicht durch, da durch den Hinzutritt der elsaß-lothringischen
Stimmen bei der Beschlußfassung über Verfassungsänderungen jenes Recht Bayerns,
10 Der Bundesrat zählt sonach jetzt 61 Stimmen; davon besitzt Preußen 17, Bayern 6,
Sachsen und Württemberg je 4, Baden, Hessen und Elsaß-Lothringen je 3 und die übrigen Bundes-
staaten je 1 Stimme. Art. 6 R. V.
11 Für E.-L. ist dies nur von Bedeutung hinsichtlich der Bierbesteuerung. § 4 N. G. v.
25. Juni 1873, Art. 35 1I R.V. E.-L. steht außerhalb der Brausteuergemeinschaft (vgl. § 4 des
Gesetzes v. 25. Juni 1873, R.G. Bl. S. 161; Brausteuergesetz v. 15. Juli 1909, N.G.Bl. S. 773).
1# Nur für diese gilt die Regel, nicht dagegen für Abstimmungen in den Bundesratsausschüssen.
13 Heim (S. 22) spricht hier im Ansch "P an eine seinerzeit vielfach von den kagsszeitungen
gebrauchte Wendung von einer „Preußenklausel“, richtiger müßte es wohl „Antipreußenklausel“ heißen.
1“ Vgl. die übersichtliche Tabelle bei Schulze, Verf., S. 19/20. Hat Preußen ohne die
elsaß--lothr. Stimmen 31 Stimmen, so hat es die Majorität, und ebenso dann, wenn es 32 Stimmen
hat, gleichviel, ob mit oder ohne die elsaß-lothr. Stimmen. Eine Stimmengleichheit, wie sie früher
bei Plenarabstimmungen zutage treten konnte. ist jetzt nicht mehr möglich. Die zinaache Mehrheit.
mit der in der Regel die Beschlußfassung erfolgt, beträgt jetzt 31. Stimmengleichheit könnte jetzt
nur eintreten, wenn Stimmen nicht gezählt werden, weil sie nicht vertreten oder nicht instruiert
sind. Art. 7 III S. 2 R.V. Das Preußen nach Art. 5 u. 37 R.V. zustehende Vetorecht in Angelegen-
heiten der Heeres-, Marine-, Zoll- und Steuergesetzgebung ist durch § 6 a N.V. nicht berührt worden.