8 11 Der Bundesrat. 43
In den Ausschüssen wird, anders als bei Plenarbeschlüssen des Bundesrates, die
elsaß-lothringische Stimme ohne Rücksicht auf die preußische Meinung gezählt 21. Handelt
es sich aber um Anderungen der Reichsverfassung, so hat E.-L. in Anwendung des im
Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Verf.Ges. ausgesprochenen Grundsatzes kein Stimmrecht.
Nach Abs. 3 des Art. I Verf.Ges. gilt E.-L. nur im Sinne des Art. 6 Abs. 2,
7 und 8 als Bundesstaat. Indessen finden doch eine ganze Reihe, wenn auch nicht
ausdrücklich aufgezählter Vorschriften der R.V. auf das Reichsland Anwendung. So die
Art. 9 und 10, die von den persönlichen Rechten der Bundesratsmitglieder handeln;
ferner Art. 14, wonach die Berufung des Bundesrats erfolgen muß, sobald sie von
einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. In dieses Drittel, das jetzt 21 Stimmen
beträgt, sind auch die elsaß-lothringischen Stimmen einzuschließen.
Nach Art. 16 RV. werden die erforderlichen Vorlagen nach Maßgabe der Be-
schlüsse des Bundesrates im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht, wo sie
durch Mitglieder des Bundesrats oder durch besondere von letzterem zu ernennende
Kommissarien vertreten werden. Als solche Kommissarien können auch die elsaß-
lothringischen Bevollmächtigten ernannt werden 22.
V. Durch das Verfassungsgesetz vom 81. Mai 1911 ist der Bundesrat (ebenso
wie der Reichstag) als Organ der gesetz gebenden Gewalt des Reichslandes aus-
geschieden. Dies gilt jedoch nur von Gesetzen im formellen Sinne. Ist daher in
Gesetzen und Verordnungen von der Zuständigkeit des Bundesrats die Rede, so ist
in diesen Beziehungen nicht ohne weiteres der Landtag oder das Ministerium an seine
Stelle getreten. Die fraglichen Anordnungen und Verordnungen des Bundesrats, so-
weit sie elsaß -lothringische Angelegenheiten betreffen, behalten daher so lange ihre
Geltung, bis sie durch Landesgesetze geändert oder aufgehoben werden 35. Es kommen
hier in Frage die Zuständigkeit des Bundesrats (gemäß § 24 II des Verfassungs-=
gesetzes) zur Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichs= und
Landesverwaltung über den Umfang der Rechte der Reichsverwaltung beim Bau von
Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen, weiterhin die Entscheidungsbefugnis des Bundesrats
nach Vernehmung des Ausschusses über Justizwesen über Rekurse wegen Mißbrauchs
in kirchlichen Angelegenheiten?“.
Der Bundesrat hat ferner bei solchen Beamten, die auf Grund kaiserlicher Be-
stallung ernannt sind, sein Einvernehmen zu erklären, wenn dieselben vom Kaiser in
den Ruhestand versetzt werden sollen 25. In betreff der übrigen Beamten, die vom
Statthalter oder vom Ministerium ernannt sind, ist binnen vier Wochen nach dem
Empfang der Entscheidung der vorgenannten Behörden der Rekurs an den Bundesrat
zulässig?é.
Die Geschäftsordnung der vom Kaiser im Einvernehmen mit dem Bundesrat in
Straßburg, Metz und Kolmar errichteten Disziplinarkammern unterliegt der Bestätigung
des Bundesrats; die einzelnen Mitglieder der Kammern werden vom Bundesrat gewählt 27.
Nach § 6 Abs. 1 sub III werden durch den Kaiser auf Vorschlag des Bundes-
rats Mitglieder der Ersten Kammern ernannt, die an Zahl die übrigen gesetzlichen Mit-
glieder nicht übertreffen dürfen. Nach § 1 Abs. 4 des Wahlgesetzes zur Zweiten
Kammer bedarf ferner die kaiserliche Verordnung über die Bildung der Wahlkreise
für die Zweite Kammer der Zustimmung des Bundesrats.
1 Dies ist nicht ausdrücklich im Gesetz bestimmt, ergibt sich aber aus den bei der Beratung
der Vorlage abgegebenen Erklärungen des Regierungsvertreters (Komm.Ber. S. 12, 16, 17; Staats-
sekretär Delbrück in der Reichstagssitzung v. 23. Mai 1911). ç
28 Von den übrigen in diesem Zusammenhang nicht interessierenden Bestimmungen der R.V.
finden auf E.-L. noch Anwendung: Art. (18 II) 19 1, 33, 76.
22 Laband II S. 244. Z„
Ges. v. 30. Dez. 1871 (G.Bl. 1872 S. 49) § 9. Der Bundesrat ist hier an die Stelle
des franzöfischen Staatsrats getreten. Der für E.-L. seit langem geplante Verweltungsgerichrsbof
wird voraussichtlich die Funktionen des Bundesrats in diesen Angelegenheiten übertragen bekommen.
36 § 66 1 Beamtenges. 26 § 66 Abs. 2 Beamtenges.
§§ 87, 92, 93 Beamtenges. Verf. v. 7. Jan. 1874; Ges. v. 5. Nov. 1874 (N.G.Bl. S. 3
u. 128); Verf. v. 10. Juni 1876 (R.G. Bl. S. 15).