44 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 12
Dagegen müssen dem Bundesrat in Zukunft nicht mehr die Rechnungen über
den Landeshaushaltsetat vorgelegt werden 28, so daß er jetzt, anders als früher, einen
erheblichen Einfluß auf die Landesverwaltung nicht mehr auszuüben vermag.
Drittes Kapitel.
§5 12. Der kaiserliche Statthalter. I. Die Statthalterschaft ist durch § 1 des
Gesetzes über die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens vom 6. Juli 1879 ein-
geführt worden. Nach Abs. 1 der genannten Bestimmung kann der Kaiser landes-
herrliche Befugnisse, welche ihm kraft Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen
zustehen, einem Statthalter übertragen, der in Straßburg residiert. Die Ernennung
und Abberufung des Statthalters erfolgt durch den Kaiser, der hierbei weder an ein
Vorschlags= noch an ein Zustimmungsrecht des Bundesrats und ebensowenig an ein
solches des Reichs= oder Landtags gebunden ist. Durch § 2 zit. war bestimmt, daß auf
den Statthalter zugleich die durch Gesetze und Verordnungen dem Reichskanzler in
elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten überwiesenen Befugnisse und Obliegenheiten
sowie die durch § 10 (des Gesetzes, betreffend die Einrichtung der Verwaltung, vom
30. Dezember 1871 dem Oberpräsidenten übertragenen außerordentlichen Gewalten über-
gehen. Mit Ausnahme der im Nachsatz enthaltenen Bestimmung (sogenannter Diktatur-
paragraph), welche durch Reichsgesetz vom 18. Juni 1902 (Reichsgesetzbl. S. 231)
aufgehoben worden ist, ist durch das neue Verfassungsgesetz gegenüber dem früheren
Rechtszustande nur die eine wesentliche Anderung getroffen worden, daß der Statthalter
die Bevollmächtigten zum Bundesrate ernennt und instruiert. Durch diese Bestimmung
7an zerr staatsrechtliche Stellung des Statthalters einen bedeutsamen Machtzuwachs
erfahren.
Der Wortlaut des § 2 Verf.G. beseitigt zunächst verschiedene Zweifel, die sich
vordem an die Einrichtung der Statthalterschaft knüpften. Es war hauptsächlich die
Frage, ob ein Statthalter eingesetzt werden muß oder nicht 1. Die Frage ist nunmehr
ohne weiteres zu bejahen; an der Spitze der Landesregierung steht, d. h. muß ver-
fassungsmäßig stehen ein Statthalter, der vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichs-
kanzlers ernannt und abberufen wird. Gleichzeitig ist damit auch die bisherige Streit-
frage, ob die Ernennung und Abberufung des Statthalters der Gegenzeichnung des
Reichskanzlers oder des Statthalters selbst bedürfe , im Sinne der ersteren Alternative
ausdrücklich gelöst; dadurch ist festgestellt, daß der Statthalter Reichs= und nicht
Landesbeamter ist (Begr. S. 9). Dies deckt sich auch völlig mit der geschichtlichen
Tatsache, daß der Statthalter in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten an die Stelle
des Reichskanzlers (nicht des Reichskanzleramts) getreten ist. Er ist Minister des
Kaisers und seine Rechtsverhältnisse sind nicht durch Landes-, sondern durch Reichs-
gesetz geregelt; hinsichtlich des Wartegeldes und der Pension finden auf ihn die für
den Reichskanzler geltenden gesetzlichen Vorschriften Anwendung ". Der Anspruch auf
es Zuhandis ist hierfür jetzt der Landtag. Gesf. v. 10. Dez. 1913 (G. Bl. S. 115).
Auch ist ein Gesetzentwurf über die Errichtung einer eigenen elsaß-lothr. Oberrechnungs-
kammer in Vorbereitung. Bislang wurde die Kontrolle des Landeshaushaltsetats in rechnerischer
Beziehung durch die preußische Oberrechnungskammer (Kechnungeto des Deutschen Reiches) ausgeübt.
Mit Ablauf des Rechnungsjahres 1914 tritt die durch das Reichskontrollgesetz v. 21. März 1911
vessraubischen Oberrechnungskammer übertragene Kontrolle des elsaß-lothringischen Landeshaushalts
außer Kraft.
[§. 12) 1 Für die Bejahung dieser Frage nach dem früheren Rechtszustand: Laband II S. 229;
Leoni S. 86; Haenel, Staatsrecht, S. 829; Bruck 1 S. 126. Für die Verneinung: Arndt,
Staatsrecht, S. 747; Loening, Verwaltungsrecht, S. 78 Bem. 3; G. Meyer, Staatsrecht, S. 396
Bem. 3; O. Mayer in v. Stengels Wörterbuch II S. 538; Zorn, Staatsrecht, I S. 538 Bem. 7
u. a. m. Die Unrichtigkeit dieser letzteren Ansicht ergab sich schon aus dem Zweck des rs von
1879, die Regierung von Berlin nach Straßburg zu verlegen, ferner aus dem Umstand, daß durch
das genannte sowie durch spätere Gesetze dem Statthalter dauernde Funktionen übertragen worden
find. Vgl. hierzu Leoni S. 86.
2 Dieser Ans. war bisher nur Schulze S. 26. * And. Ans. Rehm, Vortrag
4 R.G. v. 28. April 1 (R.G. Bl. S. 129). Dieses Gesetz ist durch das V. G. v. 31. Mai