46 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 12
eines Ministers, sich der Stellung eines Verwesers oder Regenten nähert, so bilden sie
doch eigentlich nur ein Akzessorium zu der eigentlichen Ministerstellung, die zur juristischen
Begriffsbestimmung der Statthalterschaft die wesentlichen Merkmale liefert. Diese Auf-
fassung der staatsrechtlichen Stellung des Statthalters war schon vor dem Verfassungs-
gesetz allgemein anerkannt, und sie ist auch durch das genannte Gesetz in den Grund-
zügen bestätigt worden.
1. Was die ministeriellen Befugnisse des Statthalters betrifft, so
muß man unterscheiden zwischen der aus der früheren Kompetenz des Reichskanzlers
abgeleiteten Zuständigkeit in allen Landesangelegenheiten, die infolge des Gesetzes
vom 4. Juli 1879 auf den Statthalter übergegangen sind, und denjenigen landesgesetz-
lichen Bestimmungen, die dem Statthalter bestimmte Funktionen zuweisen.
a) Bezüglich der ersten Gruppe ist zu beachten, daß der Reichskanzler auf Grund
des § 4 des Vereinigungsgesetzes vom 9. Juni 1871 an die Stelle der französischen
Minister getreten ist. Die gesamte diesbezügliche Zuständigkeit ist gemäß § 2 des Ge-
setzes vom 4. Juli 1879 auf den Statthalter übergegangen, des weiteren aber auch
der Inbegriff aller Befugnisse, welche nach elsaß-lothringischem (d. h. nach französischem)
Landesrecht dem Reichskanzler überwiesen worden waren.
b) Betreffs der zweiten Gruppe ist zu beachten, daß der Kreis der amtlichen
Geschäfte des Statthalters seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. Juli 1879 sich
durch die Landesgesetzgebung bedeutend erweitert hat, ein Umstand, der im § 2 V. G.
nicht zum Ausdruck kommt.
Der wichtige Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen besteht nun darin, daß
die erstere im Gegensatz zur letzteren einer Einschränkung bzw. Abänderung durch Landes-
gesetz nicht unterliegt.
Im einzelnen lassen sich die Befugnisse des Statthalters dahin zusammenfassen:
a) Da er als Minister von Elsaß-Lothringen in allen Landesangelegenheiten
an die Stelle des Reichskanzlers getreten ist, so bedürfen Landesgesetze zu ihrer Gültig-
keit der Gegenzeichnung des Statthalters, der dadurch die Verantwortlichkeit über-
nimmt (§ 2 IV V. G.). Dasselbe gilt von Verordnungen und Verfügungen allge-
meinen Inhalts auf diesem Gebiete 7.
830) Er hat von Rechts wegen die Oberleitung der gesamten Landesverwaltung und
) weiterhin die unmittelbare Landesverwaltung, soweit sie nicht dem Kaiser
vorbehalten oder untergeordneten selbständigen Verwaltungsinstanzen belassen ist,
5) ferner das Recht, Verfügungen der nächst untergeordneten selbständigen
Verwaltungsbehörden aufzuheben oder abzuändern,
e) die Oberaufsicht über sämtliche Landesbeamte.
Der Statthalter ist auf allen diesen Gebieten der Rechtsnachfolger des Reichs-
kanzlers, nicht etwa bloß dessen Stellvertreter geworden). Der Reichskanzler kann
daher auch nicht in die Landesverwaltung eingreifen und Geschäfte an Stelle des
Statthalters vornehmen. Die Zuständigkeit des einen schließt diejenige des anderen
aus. Während der Reichskanzler nur in Reichs-, kann der Statthalter nur in Landes-
angelegenheiten tätig werden. Eine Ausnahme besteht nur nach folgenden Richtungen:
Der Reichskanzler wirkt bei der Ernennung, der Abberufung und bei der Feststellung
des Umfangs der auf den Statthalter zu übertragenden Befugnisse mit, und er hat
schließlich im allgemeinen als Minister des Reiches die Aufsicht über den ordnungs-
mäßigen Gang der Verwaltung im Reichsland. Der Begriff der Landesangelegenheit
7 Laband II S 247. Da Landesgesetze nicht mehr im Wege der Reichsgesetzgebung erlassen
werden können, ist die Streitfrage, wer solche Gesetze gegenzuzeichnen habe, gegenstandslos geworden.
Solche Reichsgesetze, welche die elsaß-lothr. Verfossung betreffen, insbes. das V.G. v. 1911 abändern,
bedürfen natürlich der Gegenzeichnung des Reichskanzlers.
Laband a. a. O. Am weitesten gehen auf diesem Gebiete die Befugnisse des Statt-
halters hinsichtlich der Forstverwaltung (§ 9 des Ges., betr. die Einrichtung der Forstverwaltung,
v. 30. Dez. 1871, G. Bl. f. E.-L. 1872 S. 57), wonach er die bestehenden gesetzlichen Vorschriften
über die Verwaltung und Nutzbarmachung der dem Staat gehörigen Forsten abändern kann, eine
Wslegislatie, Besugnie, die, weil reichsgesetzlich, nicht darc Landesgesetz abgeändert werden kann.
Schulgze, Verf., S. 28.