50 Zweiter Teil. Die Verfaffung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 12
deutschen Bundesstaaten zumeist den Ministern zustehen: Verordnungen, Ernennungen
und Gnadensachen auf dem Gebiete der Justiz und des Finanzwesens. Der Statthalter
übt diese landesherrlichen Befugnisse „im Allerhöchsten Auftrage“ aus; er ist daher
seinem Auftraggeber in vollem Umfange verantwortlich. Die Rechtsnatur des Auftrags
läßt auch einen jederzeitigen Widerruf dieser Befugnisse zu, denn es ist ja nicht so,
als ob der Kaiser seinen Rechten dauernd entsagt hätte 10. In dieser Beziehung
unterscheiden sich diese, auf Grund des Gesetzes vom 4. Juli 1879 und vom 31. Mai
1911 übertragenen landesherrlichen Befugnisse, wesentlich von den landesherrlichen
Rechten, deren Ubertragung bereits durch § 18 des Gesetzes vom 30. Dezember 1871
(G. Bl. 1872 S. 49) erfolgt ist. Letztere Bestimmung eröffnete die Möglichkeit,
durch kaiserliche Verordnung Befugnisse, die in den französischen Gesetzen dem Staats-
oberhaupt vorbehalten sind, den Zentral= oder Bezirksbehörden, also eventuell auch dem
Statthalter zu übertragen 20. Während jedoch hierdurch die in Frage kommenden Geschäfte
von der Zuständigkeit des Landesherrn losgelöst und der alleinigen Kompetenz der
Zentralbehörden überwiesen wurden, lassen die Gesetze von 1879 und 1911 die Zu-
ständigkeit des Staatsoberhaupts an sich unverändert; auch ohne ausdrückliche Zurück-
nahme kann der Kaiser diese Befugnisse jederzeit selbst ausüben. Der Unterschied
zwischen beiden Gruppen von Befugnissen ist also kurz gesagt der: In dem einen
Falle handelt es sich um eine dauernde und verfassungsmäßige und in dem anderen
um eine persönliche (stellvertretende) Delegation 21.
Als eine weitere Folge der Annahme eines Auftragsverhältnisses zwischen Kaiser
und Statthalter ist es zu betrachten, daß eine Stellvertretung des Statthalters
die Ermächtigung zur Eröffnung neuer Kultusstätten;
die Genehmigung zur Beisetzung von Bischöfen in ihren Kathedralkirchen und von Pfarrern
in ihren Pfarrkirchen;
die Ermächtigung zur Erhebung von Brückengeld, Fährgeld;
die Bezeichnung der Gewässer, welche als schic- oder flößbar anzusehen find:
die Erlaubnis zu baulichen Vorrichtungen in derartigen Gewässern und die Erlaubnis,
aus denselben Wasser abzuleiten;
die Ausräumung der nicht schiffbaren Kanäle und Flüsse sowie die Unterhaltung der dazu-
gehörigen Dümme und Kunstbauten;
die Verteilung des Wassers zwischen Industrie und Landwirtschaft an nicht schiff= oder
flößbaren Sosferläufen;
die Genehmigung von Verträgen, durch welche Holzberechtigungen gegen Abtretung von
Waldgrundstücken abgelöst werden;
die Festsetzung des Meist= und Mindestbetrages des für den Besuch der höheren Schulen
zu erhebenden Schulgeldes.
2. Die Befugnis zum Erlasse von Geldstrafen oder sonstigen Vermögensstrafen oder Vermögens-
nachteilen, welche durch gerichtliche Entscheidung oder im Verwaltungswege verhängt sind, und
die Befugnis der Gewährung der Rehabilitation;
die Befugnis zum Erlasse von Steuern, Gebühren, Gefällen, zur Niederschlagung von
Kassendefekten und fiskalischen Forderungen sowie die Befugnis zur Genehmigung nachträglicher
Abänderung für den Landesfiskus und für die Bezirke abgsschlossener Verträge;
die Befugnis für die Bewilligung eines den Zeitraum von vier Monaten übersteigenden
Strafaufschubs in den Fällen des § 488 Str. P.O.
3. Die Ernennung der Präsidenten der Vereine zu gegenseitiger Unterstützung:
die Ernennung der Mitglieder der Spezialkommissionen für die Austrocknung von Sümpfen.
und ähnlichen Arbeiten von öffentlichem Interesse; ç
die Entscheidung im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bischof und einem
Gemeinderate hinsichtlich der Ausgaben einer Kirchenfabrik; »
die Genehmigung der von den Bischöfen vorgenommenen Ernennungen zu geistlichen Amtern
und die Genehmigung der Abberufung von solchen Ämtern;
die Bestätigung der Ernennung und der Abberufung protestantischer Pfarrer;
die Genehmigung der Wahlen der Präfidenten der protestanti chen Konsistorien, die Er-
nennung der geistlichen Inspektoren der Kirche Augsburgischer Konfession und die Genehmigung
der Wahlen der weltlichen Inspektoren; »
die Bestätigung der Ernennung und Wahlen zu Amtern des israelitischen Kultus.
« IVWicdieMotivedesGefetzesvon1879(S.7)faen,solldieUbertragungderlandesherrs
lichen Befugnisse nicht die Bedeutung einer Entäußerung baben.
o Eine Wgichtet. von der in den Verordnungen v. 5. Mai 1873 (G. Bl. S. 85) und v.
10. Febr. 1875 (G. Bl. S. 57) Gebrauch gemacht worden ist.
21 Laband (II S. 248) spricht von einer persönlichen und einer institutionellen Ermächtigung.