Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

60 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 14 
  
von dem ursprünglichen staatsrechtlichen Gebilde eigentlich kein Stein auf dem anderen 
geblieben ist. Das „staatsrechtliche Territorium“ ist, und das gilt auch von den nord- 
amerikanischen Territorien, kein fester, sondern ein sehr wandlungsfähiger Begriff, 
wenn man überhaupt von einem solchen und micht bloß von einer Genusbezeichnung 
sprechen kann, die alle Länder umfaßt, welche nicht Staaten sind. Das einzige feste 
Ergebnis, zu dem man auch bei dieser Betrachtung gelangt, ist das, daß Elsaß-Lothringen 
kein Staat ist. Vom rein logischen Standpunkte aus betrachtet ist überhaupt ein 
Mittelding zwischen Staat und Nichtstaat undenkbar 206. Nur der Besitz eigener 
Herrschaftsrechte, die Fähigkeit, aus eigener Kraft bindende Normen aufzustellen, macht 
den Staat zu dem, was er ist 27. Diese Fähigkeit, die Staatsgewalt an sich, wird 
nicht durch einen Rechtstitel begründet, sondern durch eine Tatsache, durch den historischen 
Vorgang, daß auf einem begrenzten Teil der Erdoberfläche eine Körperschaft ihre Selb- 
ständigkeit erlangt und dauernd behauptet 75. 
Herrschaftsbefugnisse aus eigenem Recht kann nur der Staat und keine 
andere öffentliche Korporation ausüben; dies ist auch die Ansicht Rosen bergs. In 
einer späteren Abhandlung hat er 29 den Unterschied zwischen Staat und Kommunalverband 
damit begründet, daß jener eine selbständige, dieser eine unselbständige Gebietskörper-= 
schaft sei; nur die selbständige Gebietskörperschaft besitze die Gebiets-, die Personal= und 
die Verfassungshoheit. Grundsätzlich gibt er somit zu, daß die Gemeinde nur kraft Dele- 
gation handelt; für gewisse Gemeindeaufgaben, insbesondere die Polizei, will er aber eine 
Ausnahme begründet wissen. Er glaubt, daß nach dem französischen Gesetz vom 16. bis 
24. August 1790 (Tit. XI Art. 3) die Ortspolizei zu den eigenen Angelegenheiten 
der Gemeinde gehöre; sie sei dem Gemeindekollegium nicht déléguée, sondern confiée; 
indessen kann es sich hierbei nur um eine irrtümliche Auffassung bzw. um eine irrtümliche 
Auslegung des Wortlauts des Gesetzes handeln 30. Einem ähnlichen, m. E. unrichtigen, 
Gedankengang folgt Rosenberg an einer anderen Stelle 31, wo er unter Aufrechterhaltung 
der Theorie von dem staatsrechtlichen Charakter Elsaß-Lothringens als Territorium, für 
  
*" So auch Jellinek, Allg. Staatslehre, S. 386 f., 446 f. 
27 G. Meyer (S. 9) umschreibt den Begriff der eigenen Herrschaftsrechte durch die Aufstellung 
folgender zwei Gruppen: a) die Befugnis, gewisse politische Aufgaben selbständig, d. h. durch eigene 
Gesthe erfüllen, b) die Befugnis, die eigenen Organe selbständig, d. h. durch eigene Gesetze zu regeln. 
nrichtig bzw. unerheblich sind aber folgende Unterscheidungsmomente zwischen Staat und 
Kommunalverband: a) der Zweck, hier kommunaler, dort staatlicher Zweck (Rosin in Annal. 1883 
S. 291 f.), b) die Allfeitigkeit des Zweckes beim Staat (Brie, Theorie der Staatenverbindungen, 
S. 5 f.), c) die völkerrechtliche Anerkennung (Stöber, Off. Arch. Bd. 1 S. 638; Rehm, Allg. 
Staatslehre, S. 28, d) die Gebietshoheit (Preuß, Gemeinde usw., S. 403 f.; Arndt, R. V., 
S. 56 f.), e) Seidler, Das jur. Kriterium des Staates, 1905 S. 75, verlangt für den Begriff 
des Staates drei Merkmale: Personal-, Gebiets= und Organ-(Verfassungs-) Hoheit. Auch Nelte, 
Off. Arch. Bd. 27 S. 21, schließt sich an Jellinek und Rosenberg an. 
28 Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882 S. 262 f.; Rosenberg, 
Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, 65. Jahrg. (1909) S. 19. 
!. Rosenberg, Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaft. 65. Jahrg. S. 19. 
7"° R. beruft sich hierbei auf O. Mayer, Franz. B.R., S. 64, und Ducrocgq, Cours de 
droit administratif, 6. A., (1881) 1 S. 198. Seit dem Gesetz v. 28. Pluv. VIII habe allerdings 
die Ortspolizei als eine staatliche Angelegenheit gegolten, welche der Bürgermeister als représentant 
de Hadministration centralc verwaltet habe. Das Gesetz v. 18. Juni 1837 habe indessen den 
früheren Rechtszustand wiederhergestellt: der Bürgermeister verwaltete die Ortspolizei nunmehr nicht 
sous I’autorité de l’administration supérieure, nicht als Vertreter des Staates, sondern jure 
roprio. Diese Ansicht kann nicht als zutreffend erachtet werden. Von Handeln aus eigenem ddecht 
im staatsrechtlichen Sinne kann bezüglich der Gemeinde nicht gesprochen werden. Der Staat hat 
die ganze Gemeindegesetzgebung in der Hand. Er kann durch seine Gesetze und Verordnungen die 
Verordnungen des Bürgermeisters illusorisch machen. Er setzt ferner den Bürgermeister ein. Daß 
natürlich der Staat nicht ohne gesetzlichen Eingriff die Befugnisse der Gemeindeorgane beeinträchtigen 
kann, liegt auf der Hand; denn auch der Staat ist an seine eigenen Gesetze gebunden. Dies gilt 
jedoch in gleicher Weise von allen Behörden und Beamten des Staates. Auch die ihnen zugewiesenen 
Funktionen können nicht ohne weiteres beseitigt werden, aber deshalb handeln doch die betreffenden 
Behörden und Beamten nicht jure proprio, sondern namens des Staates, in dessen Dienst sie 
mittelbar oder unmittelbar eingestellt sind. Nach § 4 der elf.-lothr. Gem.O., der die hier vertretene 
richtige Anschauung zum Ausdruck bringt, gehört die Ortspolizei zu den Geschäften der allgemeinen 
Landesverwaltung, welche dem Bürgermeister (seil. zur Ausübung) überwiesen find. « 
UZettschk.f.d.gef.StaatswissenschaftBd.66(1910)S.341f.
	        
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