8 14 Die staatsrechtliche Natur des Reichslandes. 61
das Reichsland Hoheitsrechte nur in einzelnen Beziehungen beansprucht,
nämlich soweit demselben hinsichtlich der Verwaltung der Zölle und Gebrauchssteuern
durch Reichsoder Landesgesetz eine Befehls- oder Zwangsgewalt übertragen ist. Dem ist
entgegenzuhalten, daß vom staatsrechtlichen Standpunkte aus eine Teilung der Hoheits-
rechte nicht angängig erscheint. Die einzelnen Hoheitsrechte entspringen alle aus einer
und derselben Quelle, der einheitlichen Staatsgewalt als solcher; es ist daher gar nicht
denkbar, daß diese Staatsgewalt sich gewisser theoretisch gedachter Teile ihrer Macht
entäußert und so gleichsam einzelne Hoheitsrechte an eine Gebietskörperschaft oder gar
an einen anderen Staat abgibt. In Wirklichkeit handelt es sich nur um eine Dele-
gation von Befugnissen, die dann vielfach durch die Worte, „insoweit gilt Elsaß-
Lothringen als Bundesstaat“, Ausdruck findet 32. Kein Zweifel, daß ein Gemeinwesen,
dem solche Befugnisse in großer Zahl überwiesen sind, seiner ganzen Stellung nach weit
über das hinaus geht, was man unter dem Begriff einer Provinz versteht; eine Gebiets-
körperschaft wie Elsaß-Lothringen „steht immer noch dem Staat am nächsten“ 33.
In fiskalischer Beziehung ist der Satz: „Elsaß-Lothringen gilt als Bundesstaat"
am vollständigsten durchgeführt 3"; der Ausdruck „Landesfiskus“ kehrt nicht nur
in der Praxis der Gerichte und Verwaltungsbehörden, sondern in der Gesetzessprache
häufig wieder, wenn auch vielfach daneben die anspruchslosere Bezeichnung Landes-
kasse" 35 gewählt wird. Auf die Rechtsverhältnisse des elsaß-lothringischen Fiskus
soll an anderer Stelle 36 näher eingegangen werden; hier sei nur eines Spezialfalls
Erwähnung getan, den Rosenbergs7 einer ausführlichen Untersuchung unterzieht,
nämlich der Frage des Eigentums der elsaß lothringischen Forsten und der K. Tabak-
manufaktur. R. spricht das Eigentum an den genannten Domänen dem Reiche und
nicht dem Landesfiskus zu, da das Deutsche Reich der Rechtsnachfolger des französischen
Staates in Elsaß-Lothringen bezüglich des Staatseigentums geworden sei; Verfügungen
über das fragliche Eigentum könnten daher nur durch die gesetzgebenden Faktoren des
Deutschen Reiches getroffen werden. Aus den von R. zitierten Beispielen, Staatsforsten
und Tabakmanufaktur, ist zu entnehmen, daß er bei der Untersuchung der einschlägigen
Frage nur an das Finanz= und nicht an das Verwaltungsvermögen gedacht hat. Daß
aber das letztere von Anfang an keine anderen rechtlichen Schicksale erleiden konnte
als das erstere, liegt auf der Hand. Wenn also Staatsforsten Eigentum des Reichs
sind, so müssen es erst recht die Staatsstraßen, die Kanäle, Brücken, die Verwaltungs-
gebäude usw. sein. Nun liegt aber das Unzutreffende der R.schen Ansicht bezüglich
dieser letzteren Gegenstände auf der Hand; das Reich denkt gar nicht daran, sich als
Eigentümer der erwähnten, zum öffentlichen Gut gehörenden Gegenstände zu fühlen,
die ihm nur große Lasten, aber gar keinen Nutzen abwerfen würden. Tatsächlich trägt
es auch zur Unterhaltung der fraglichen Verkehrseinrichtungen (anders als bei den
Reichseisenbahnen) gar nichts bei. Bezüglich der Reichseisenbahnen ist das Reich aller-
dings nunmehr, d. h. nach dem Verfassungsgesetz von 1911 in vollem Maße nicht bloß
Eigentümer, sondern auch Träger der vollen Eisenbahnhoheit.
Historisch betrachtet kommt man aber auch aus folgenden Gründen dazu, die
Rosenbergsche Hypothese von dem Reichseigentum an den Staatsforsten u. a. als
Reichsdomäne abzulehnen: Vom Austausch der Versailler Friedenspräliminarien an,
d. h. vom 2. März 1871 bis zum 28. Juli 1871, dem Tage der Vereinigung Elsaß-
Lothringens mit dem Reiche mag Elsaß-Lothringen kein besonderes Vermögenssubjekt
gewesen sein, sondern okkupiertes Gebiet, das nur völkerrechtlich zum Reiche gehörte.
Damals existierten nur die drei Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Meurthe
: Val. Art. 36 Abs. 1 N.V.; § 459 Str. P.O.; Art. 5 E.G. B.G.B.; Ges. v. 24. Juli 1907
üte das Berwaltungsstrafverfahren in Zoll- und Steuerfragen (G. Bl. S. 80); Staatsangehörigkeits-
gesetz v. 8 2. » « « «
«O.qukkinOff.Arch.15S.536f.VonE.-L.alsememStaat»mttfequest·rterter
Staatsgewalt“ kann man jedoch nicht sprechen, denn das hätte zur Voraussetzung, daß E.-L. jemals
gurhaudt Staat gewesen ist, was weder unter französischer noch unter deutscher Herrschaft je der
wFall war.
4““ Vgl. R. G. E. (Str.) 27 S. 355. 5*5 Val. 9 43, 112 A.G. B. G. B.
* § 93 des Buches. 37 Annal. 1903 S. 485 f.