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Erst mit dem Minister (Staatssekretär, Ministerium) beginnt die eigentliche Behörden-
ordnung. Sein Verhältnis zum Staatsoberhaupt kennzeichnet sich durch die unbedingte
Gehorsamspflicht, deren Verweigerung einerseits das freie Entlassungsrecht des Staatsober-
haupts, andrerseits das ebenso freie Rücktrittsrecht des Ministers begründet. Verkehrt wäre
es aber, das Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt und Minister nach dem Verhältnisse eines
Herrn zu seinem Diener zu beurteilen 3. Die Direktiven, die der Minister vom Staats-
oberhaupt erhält, sind nicht blindlings auszuführen, sondern im Einklang mit den be-
stehenden Gesetzen und mit der Staatsraison. In beiden Beziehungen trifft auch den
Minister allein die Verantwortung. Sofern der Minister im Rahmen des Rechts
eine Entscheidung erlassen hat, kann auch das Staatsoberhaupt dieselbe nicht durch einen
eigenen Beschluß abändern; der Monarch kann höchstens den Minister veranlassen, seine
Entscheidung aus Zweckmäßigkeitsgründen zu ändern oder ganz zurückzuziehen. Der
Minister ist also die erste und ordentliche Verwaltungsbehörde. Von ihm aus strahlt
fächerförmig der Organismus derjenigen Verwaltungsbehörden aus, welche die Ver-
waltungsfunktionen im einzelnen auszuüben haben, soweit sie nicht zur eigenen Zu-
ständigkeit des Ministers gehören. Gesetzlich ihm persönlich zugewiesene Funktionen
kann der Minister regelmäßig nicht an ihm untergeordnete Amter übertragen; falls er
es doch tut, ist die Entscheidung dieses Amtes nur eine vorläufige, den Minister nicht
bindende ". Im übrigen kann er die Unterbehörden mit dem Erlaß gewisser Verfügungen
beauftragen, kann sie auch förmlich dazu delegieren, so daß sie an seiner Stelle handeln,
er kann ihnen sogar stillschweigend gewisse Gebiete der Verwaltungstätigkeit über-
lassen. Wo andrerseits bestimmte Anordnungen durch Gesetz gewissen Verwaltungs-
behörden übertragen sind, kann sie der Minister nicht an ihrer Stelle selbst vornehmen,
unbeschadet seines Rechts, in allen Fällen durch Dienstanweisung die Ausführung der
Verwaltungsfunktionen der Behörden zu regeln. Der Minister hat so die Leitung
und die Aufsicht über sämtliche Verwaltungsdienstzweige. Ein Verordnungsrecht kraft
seiner Stellung als solcher hat der Minister nicht, vielmehr beschränkt sich dieses Recht
nur auf die ihm ausdrücklich durch das Gesetz zugewiesenen Gegenstände.
ebensowenig hat der Minister die Befugnis, neue Amter zu schaffen; diese Be-
fugnis ist vielmehr dem Gesetz oder dem Staatsoberhaupt vorbehalten. Das Ernennungs-
recht des Ministers bezüglich einzelner Beamtenklassen beschränkt sich auf bereits vor-
handene Amter.
Kraft der hierarchischen Rangordnung stehen die untergeordneten Behörden in
einem Abhängigkeitsverhältnis zum Minister, das im Dienstbefehl zum Ausdruck
kommt. Die untere Verwaltungsbehörde schuldet der übergeordneten unbedingten Ge-
horsam. Soweit sie kraft Gesetzes oder kraft Verordnung eine eigene Zuständigkeit
hat, führt sie Dienstbefehle nur so weit aus, als die vorgesetzte Behörde ihr den ent-
sprechenden Auftrag übermittelt und weiterhin in der Form und in der Begrenzung,
wie ihr dies vorgeschrieben ist 5. Die der Unterbehörde übertragene Befugnis ist mithin
gewissermaßen latent (O. Mayer S. 46) bei der Oberbehörde verblieben. Die vor-
gesetzte Behörde kann zwar nicht selbst mit dem Erlaß der in das der Unterbehörde
vorbehaltene Gebiet fallenden Anordnung beginnen; wenn aber die Unterbehörde ge-
handelt hat, kann der Vorgesetzte erneut so verfügen, als läge überhaupt eine Ent-
scheidung der Unterbehörde nicht vor.
Ein weiterer, der französischen Verwaltungsrechtswissenschaft entnommener Grund-
satz " betrifft den Fall, daß das Gesetz einer unter dem Minister stehenden Behörde
(Bezirkspräsident, Bürgermeister) den Erlaß von Polizeiverordnungen übertragen hat.
Ist die vorgesetzte Behörde mit einer solchen Verordnung inhaltlich nicht einverstanden,
so kann sie dieselbe in Ausübung ihres Uberwachungsrechtes nicht etwa abändern, sondern
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2 So O. Mayer a. a. O. S. 50. 4 O. Mayer a. a. O. S. 51.
* Dutour I1 Nr. 136: O. Mayer S. 42: Geht der der Dienstpflicht entsprechende Auftrag
über das gesetzliche Maß hinaus, so ist er dem einzelnen Bürger gegenüber allerdings ungültig:;
es greift hier die Verwaltungsgerichtsbarkeit ein. ç
" Mayer a. a. O. S. 47 und die in Note 8 u. 9 zitierten Schriftsteller.
Fischbach, elsaß-Lothringen. 5