66 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 16
nur ganz aufheben. Der unteren Behörde muß es dann überlassen bleiben, eine neue im
Einklang mit dem Willen der vorgesetzten Behörde stehende Verordnung zu erlassen 7.
Die Zentralisation der Staatsgewalt kommt aber trotz des davon verschiedenen
äußeren Anscheins auch hier zum Ausdruck: Die Befugnis der Unterbehörde (Bürger-
meister), für seinen Amtsbereich auf einem gewissen Gebiete Polizeiverordnungen zu
erlassen, ist eigentlich nur die in lokaler Beziehung eingeschränkte gleiche Befugnis, wie
sie der vorgesetzten Behörde (im konkreten Falle dem Bezirkspräsidenten) für den Bezirk
und dem Staatsoberhaupt für das Staatsgebiet zukommt s.
§ 16. Die Einrichtung der inneren Verwaltung. I. Träger der Landes-
verwaltung sind grundsätzlich die Bezirkspräsidenten (§ 11 Verw. Ges. vom 30. De-
zember 1871), denen die früher den Präfekten zustehenden Befugnisse übertragen
worden find Die Einsetzung des Instituts der prefêéts beruht auf dem Gesetz vom
28. pluviose des Jahres VIII und knüpft an die ursprünglichen Einrichtungen des
alten französischen Königtums, insbesondere an den allein verwaltenden Staatsbeamten,
den Intendanteu an. § 3 der vorerwähnten Gesetzesbestimmung umschreibt mit den
dürren Worten: „Le préfet sera seul chargé de Tadministration“ (du deé-
partement) den ehedem so weitgehenden Machtbereich des Präfekten. Danach steht
dem Präfekten die ganze Verwaltung zu, d. h. er hat innerhalb des Departements
(Bezirks) die gesamte vollziehende Gewalt, soweit sie nicht durch Gesetz oder Ver-
ordnung dem Staatsoberhaupt oder dem Minister oder einem anderen Träger der
öffentlichen Gewalt ausdrücklich zugewiesen ist. Im Falle der Dringlichkeit ist der
Präfekt sogar befugt, in solchen Angelegenheiten, die dem Staatsoberhaupt oder dem
Minister zustehen, vorläufig Entscheidung zu treffen 1.
Sofort nach dem Pluviosegesetz begannen die Bestrebungen der Minister, die Zu-
ständigkeit der Präfekten durch Dienstanweisungen einzuschränken. Dieser ganz natür-
lichen Zentralisationsbewegung, die unter dem Ersten Konsul ihren Höhepunkt erreichte.
arbeiteten eine ganze Reihe von Gesetzen entgegen, deren Zweck die Dezentralisation
und die Sicherung der eigenen Zuständigkeit der Präfäkten war 13a. Zu erwähnen sind
hier namentlich die sogenannten décrets de décentralisation vom 25. März 1852
und 13. April 1861 (ersteres ein sogenanntes décret-loi, d. h. ein Dekret mit Gesetzes-
kraft), welche die unbestimmte Zuständigkeit des Pluviosegesetzes — das nach wie vor
als Grundlage der Kompetenz des Präfekten bestehen bleibt — ergänzen 2.
II. Man pflegt im Anschluß an die französische verwaltungsrechtliche Theorie 3
drei Zuständigkeitsgebiete der Bezirkspräsidenten (préfets) zu unterscheiden:
a) die eigene Zuständigkeit kraft Gesetzes, z. . das Ernennungsrecht von Beamten,
b) seine Stellung als Vollzugsorgan höherer Behörden (Ministerium),
J0) seine Stellung als Aufsichts= und Anordnungsorgan für untergeordnete Be-
hörden (Kreisdirektor, Bürgermeister),
d) Den Bereich derjenigen Geschäfte, die von ihm als Organ des Bezirks als
Selbstverwaltungskörper zu vollziehen sind.
7 Die Theorie drückt dies aus durch die Formel: „Der Verordnungsberechtißte erhält seine
Besugnisse unmittelbar vom Gesetz.“ O. Mayer a. a. O. Bgl. auch I)ucrocq Nr. 159.
s Man findet diese Regel ausgedrückt in dem Satz: le préfet ent le maire de son départe-
ment. Dufour I Nr. 405 f. u. a.
[I§S 161 1 Dufour 1 Nr. 221.
1 Bezeichnend für die ganze Bewegung sind die klassischen Worte in der Einleitung zum
Dekret v. 25. März 1852: Considérant qu’on peut gouverner de loin, mais qur’on administre
bien r* de prt; du'’en conpséquencc, autant il importe de centraliser I’action gouverne--
mentale de I’Etat, autant il est nécessaire de décentraliser Paction purement ad-
ministratif
.. 2 O. Mayer S. 57. Ein — Gesetz v. 10. Aug. 1871 sieht noch weitere erhebliche
- vor (vgl. Ducrocq.1874, 4. éd.] 1 Nr. 87). Für E.-L. kommt dieses Gesetz nicht in
Betracht. . .. -
— IDucrdcqlNr.85f.:DufourINr.211;Auoocth.85f.:-L.MayerS.57;
Leoni S. 96: Hauriou. Précis de droit admin., 2 dd., (1893) S. 298.