817 Die richterlichen Behörden. 73
besteht aber eine völlige Trennung der Gerichte von den Staatsanwaltschaften. Die
Staatsanwälte haben insbesondere kein Aufsichtsrecht über die Gerichte, sie geben auch
nicht etwa, wie in Frankreich, in schwierigen Fällen Rechtsgutachten für die Gerichte ab.
Die innere Einrichtung der Staatsanwaltschaft ist die einer hierarchisch gegliederten
einheitlichen Behörde ohne kollegialische Verfassung. Der Oberstaatsanwalt und an
dessen Stelle die Ersten Staatsanwälte haben ein allgemeines Devolutions= und Eub-
stitutionsrecht bezüglich der ihnen unterstellten Beamten, d. h. sie können alle Befugnisse
der untergeordneten Beamten selbst wahrnehmen oder einen anderen als den zunächst
berufenen Beamten mit der Wahrnehmung einer Dienstobliegenheit beauftragen. Die
Oberleitung der Staatsanwaltschaft hat das Ministerium 1“.
Die Haupttätigkeit der Staatsanwaltschaft liegt auf dem Gebiete der Strafsachen.
Hier steht ihr die Vorbereitung und die Erhebung der öffentlichen Klage zu (§ 151f,
483 f. St. P.O.) zu; ferner ist ihr die Strafvollstreckung überwiesen, soweit diese nicht
den Amtsgerichten obliegt. In Zivilsachen wirken die Staatsanwälte nur in Ehe- und
Entmündigungssachen mit (vgl. §§ 606 f., 664 f. C P.O.). Auf dem Gebiet der frei-
willigen Gerichtsbarkeit ist die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft beschränkt auf gewisse,
ein öffentliches Interesse beanspruchende Fragen, wie z. B. Zwangserziehung. Im Falle
des Art. 88 Ges. v. 27. Vent. VIII ist die Staatsanwaltschaft weiterhin noch befugt,
im Interesse der richtigen Gesetzesanwendung das Rechtsmittel der Kassation einzulegen.
Außerdem versieht die Staatsanwaltschaft noch wichtige Geschäfte der Justiz-
verwaltung. So haben die Ersten Staatsanwälte gemeinsam mit den Landgerichts-
präsidenten das Landgericht als solches in allen Angelegenheiten zu vertreten. Ferner
find sie mit der Aufsicht über die Notare, Gerichtsschreiber, Gerichtsvollzieher und
Standesbeamten beauftragt 16.
VI. Die besonderen Gerichte nach § 141 G.V. G. Als solche sind zu erwähnen:
1. Die Rheinschiffahrtsgerichte5; dieselben beruhen auf der sogenannten
revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 17, (welche den Staatsvertrag
vom 31. März 1831 zwischen den Rheinuferstaaten über die Schiffahrt auf dem Rheine
neu regelte) sowie auf dem Gesetze vom 21. April 1832, betr. die Rheinschiffahrt.
Als Rheinschiffahrtsgerichte erster Instanz fungieren die Amtsgerichte derjenigen
Kantone, die an den Rhein grenzen 18. Die Rheinschiffahrtsgerichte urteilen a) in
Strafsachen, und zwar ausschließlich wegen aller Zuwiderhandlungen gegen die
von den Ufer-Regierungen für den Rhein gemeinsanm erlassenen schiffahrtspolizeilichen
Vorschriften mit Geldstrafen von 10 —300 Franken 19, und zwar ohne Zuziehung
von Schöffen 20; b) in Zivilsachen besteht die Zuständigkeit nur für die in
14 Der Reichsanwaltschaft sind die Staatsanwaltschaften der Einzelstaaten nur in den Fachen
unterstellt, in denen das Neichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig ist (Spionage). Weiterhin
bat gemöß §§ 144 III, 147 II G.V.G. der Oberreichsanwalt die Entscheidung zu 7 wenn die
Staatsanwaltschaften verschiedener Staaten oder Elsaß-Lothringens sich über die Übernahme der Ver-
solgung einer Strafsache nicht einigen können.
15 Ob die Stgalsanwaltschaft auch noch, wie Leoni (S. 114) annimmt, über die Handhabung
der Ordnung bei den Gerichten zu wachen hat, dürfte indessen zweifelhaft sein, da die Gerichte in
dieser Degiehn eigene Macktbesugmsse (insbes die Sitzungspolizei) haben.
16 Dieselben sind als besondere Gerichte im Sinne des § 14 G. V.V. anzusehen: val.
v. Traut, Die Rechtsprechung der Zentralkommission, 2. Aufl., S. 59. Abw. Ans. Michaölis,
Die els.-lothr. Landesgesetze u. Verordn. 1 Ausführung u. Ergänzung der C. P O., 2. Aufl., S. 182:
R.G. v. 26. Febr. 1895, Els.-lothr. Z. Nr. 21 S. 471. ·
17 Ein vollständiger Abdruck derselben mit deutschem und französischem Text findet sich bei
v. Traut S. 150 f. « .
’«Art.2Gef.v.21.Apri11832.EssinddasdieAmtsgerichtevonhüningemSterenz,
Mülhausen, Ensisheim, Neubreisach, Colmar, Markolsheim, Benfeld, Erstein, Illkirch, Straßburg,
Brumath, Bischweiler, Lauterburg. Z
1½0 Art. 32 der rev. Ah-Schut ist durch § 366 3 10 R. Str. G. B. in Verbindung mit § 2
des E.G. nicht aufgehoben.
Es ist dies mit ein Grund, der die Annahme rechtfertigt, daß die Rh. Sch. Gerichte besondere
Gerichte sind. In Baden und Bayern urteilen die Rh. Sch. Gerichte in Strafsachen unter Zu-
ziehung von Schöffen. Vygl. über die interessante Streitfrage v. Traut S. 29f.