Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

76 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 18 
  
lafsene Gebiet überzugreifen. Hierher gehört vor allem die grundlegende Bestimmung des Art. 1 
Kap. V Tit. 1I1 der Konstitution von 1791, wonach die richterliche Gewalt in keinem Falle 
von dem König ausgeübt werden darf, ferner die Bestimmung in Art. 23 Kap. IV Tit. III ebenda, 
wonach Verwaltungsbeamte in keiner Weise auf das richterliche Gebiet hinübergreifen dürfen, und 
schließlich Tit. 11 Art. 17 Gesetz vom 16. August 1790, wonach der König eine vor die ordentlichen 
Gerichte gehörige Angelegenheit weder an sich ziehen noch einem von ihm abhängigen Ausnahme- 
gericht übertragen kann 2. 
Nach diesen fortdauernd in Geltung stehenden Bestimmungen? gelten für die Gerichte folgende 
Grundsätze: 
1. Die Gerichte dürfen keinen Verwaltungsakt vornehmenz; einen Verwaltungs- 
akt stellt auch der Erlaß einer allgemeinen Verordnung dar, und darum ist eine derartige Verfügung 
nicht nur auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts (Art. 127 Nr. 2 C. p.), sondern ganz allgemein 
auf dem Gebiete der cnuses qui leur seront soumises (Art. 5 C. c.) ausdbrücklich verboten. 
2. Ein Verwaltungsakt (acte administratif) darf nicht zum Gegenstand 
richterlicher Beurteilung gemacht werden. Die Gerichte haben also Verwaltungsakte 
nicht auf ihre Rechtsgültigkeit zu prüfen, können sie auch nicht für ungültig erklären oder ihre Aus- 
führung verbieten. 
Von diesem Grundsatze gibt es jedoch wichtige Ausnahmen: a) Handelt es sich um einen 
offensichtlichen Ubergriff über die Zuständigkeit der betreffenden Verwaltungsbehörde", so ist das 
Gericht zur Prüfung der Rechtsgültigkeit des Verwaltungsaktes befugt. Handelt es sich z. B. für 
ein Gericht um die Frage, an die übertretung einer Polizeiverordnung die gesetzliche Strafe nach 
Art. 471 Nr. 15 C. p. zu knüpsen, so hat der Richter zu prüfen, ob die Verordnung gesetzmäßig 
und von der zuständigen Behörde erlassen ist; trifft dies nach Ansicht des Gerichts nicht zu, so kann 
es zwar die Verordnung nicht für ungültig erklären, wohl aber ihrer Anwendung den strafrechtlichen 
Schutz versagen. Der Prüfung der Gerichte entzieht sich auch die formelle Gültigkeit der Polizei- 
verordnung. also die Frage, ob sie in den vom Gesetz vorgeschriebenen Formen zustande gekommen ist. 
b) Das Gericht hat weiterhin ein Prüfungsrecht, wenn es durch besondere gesetzliche Vorschrift 
zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungsaktes berufen ist". 
3. Die Gerichte dürfen Verwaltungsakte nicht auslegen („déterminer le sens 
et la portée d’'un acte peut Cquivaloir à annuler cet acte"), sofern Zweifel bezüglich dessen 
Inhalt sich ergeben. Ist der Inhalt des Verwaltungsaktes (acte administratif) zweifellos, so haben 
die Gerichte in den vor sie nach § 18 G.BV. G. gehörigen Streitigkeiten unbeschadet des Grundsatzes 
von der Trennung der Gewalten solchen Verordnungen der Verwaltung, die gegen die Gesetze ver- 
stoßen, die Anwendung zu versagen und dürfen sie auch in diesem Falle auslegen 7. Auf all- 
gemeine Verordnungen (décrets réglementaires), welche das Staatsoberhaupt auf Grund 
gesetzlicher Ermächtigung erlassen hat, bezieht sich der Grundsatz über die Trennung der Gewalten 
überhaupt nicht; diese allgemeinen Verordnungen stehen den Gesetzen gleich, und infolgedessen haben 
ihnen gegenüber auch die Gerichte kein anderes Prüfungsrecht wie gegenüber Gesetzen 8. 
2 L'ordre constitutionnel des jurisdictions ne pouvra ötre troublé ni les justiciables 
distraits de leurs juges naturels par aucune commission, ni par d’autres attributions ou 
Cvocations qdue celles dui sont déterminés par la loi.“ 
Die Selbständigkeit der Justiz ist also durch folgende Grundsätze gesichert: 1. Das Staats- 
oberhaupt darf sich in die Gerichtsbarkeit nur so weit einmischen, als ihm dieses Recht verfassungs- 
mäßig verliehen ist (Richterernennungsrecht, Begnadigungsrecht). 2. Die Kompetenz der ordentlichen 
Gerichte darf nicht durch Ausnahmegerichte verringert werden. 3. Verwaltungsbeamte dürfen nicht 
in das den Gerichten vorbehaltene Gebiet übergreifen. Bgt Keetman a. a. O. S. 76. 
3 . v. 26. Jan. 1883 und 26. März 1887, O.L.G. Colmar v. 29. Jan. 1883, 
1. Juni (8 : 27. Jan. 1888 in Els.-I. Z. Nr. 8 S. 106; Nr. 9 S. 550; Nr. 10 S. 252; Nr. 13 
* Val. hierzu Molitor-Stieve S. 88; Dalloz, Rép. v. comp. admin. Nr. 11, 93, 
Suppl. Nr. 28. 
* O. LS.G. Colmar v. 6. Mai 1899, Els.-I. Z. 1899 (24) S. 506. Die Nachprüfung der for- 
mellen Gültigkeit einer Polizeiverordnung steht lediglich der vorgesetzten Verwaltungsbehörde zu. 
* So z. B. hinsichtlich Art. 14 des Enteign. Ges. v. 3. Mai 1841 mit Bezug auf die Zu- 
ständigkeit der die ess erklärenden Behörde und auf den Abtretungsbeschluß des Peke- 
präsidenten. Vgl. Dalloz, P. 83. 3. 57; Molitor-Stieve S. 88 zu § 40 a A.G. B. G. B. 
! O.L.G. Colmar v. 1. Dez. 1905, Elf.-I. Z. 1906 S. 387. Der Grundsatz der Trennung 
der Gewalten hat also keineswegs die Tragweite, daß die Gerichte genötigt wären, kritiklos jede 
Anordnung einer Verwalkungsbehorde als gültig zu behandeln. Vielmehr steht ihnen die Befugnis 
zu, zu prüfen, ob überhaupt ein Verwaltungsakt (acte administratif) vorliegt, ob also die Ver- 
waltungsbehörde innerhalb der Grenzen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit gehandelt hat. Dallo-z, 
Rép. v. comp. admin. Nr. 193, Suppl. Nr. 285. 
* O.L.G. Colmar v. 14. Okt. 1910, Elf.-I. Z. 1911 S. 11: Die Entscheidung bezieht sich au
	        
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