Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVI. Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-Lothringen. (26)

78 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 18 
  
III. Durch die Reichsjustizgesetzgebung wurde keine klare Scheidung zwischen der Zu- 
ständiakeit der Justiz und der Verwaltung getrossen. Nach § 4 E.G. G.V. G. i. V. mit § 8 
A.G. G.V.G. sind eine ganze Reihe von Rechtsstreitigkeiten, für welche früher die Verwaltungs- 
gerichte zuständig waren, den ordentlichen Gerichten überwiesen worden 1. 
Ferner haben in § 4 E.G. G. V.G. die ordentlichen Gerichte auf Grund Landesrechts 
zu entscheiden, ob eine Rechtsstreitigkeit öffentlich rechtlicher Natur trotz dieser ihrer Eigenschaft 
vor ihnen zu entscheiden ist oder nicht. Für die Beantwortung der Frage vom Standpunkt des 
Landesrechts aus ist aber in erster Linie der Grundsatz der Trennung der Gewalten von Bedeutung 
geblieben, der, soweit nicht ausdrückliche Zuständigkeitsnormen bestehen, sich lediglich nach dem 
formalen Gesichtspunkle der Unabhängigkeit der beiden Gewalten (Rechtsprechung und Verwaltung), 
somit nicht nach einem inneren Gegensatz der Rechtsverhältnisse bestimmt !?. Dieser Rechtszustand 
ist durch § 13 G.V.G. bzw. § 4 E.G. G.V. G. nicht geändert worden. Die Regel bleibt, daß 
bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeiten von den Gerichten zu entscheiden find, Fragen des öffentlichen 
Rechts dagegen von den Verwaltungsbehörden. Von diesem Grundsatze gelten jedoch eine ganze 
Reihe von Ausnahmen zugunsten der Justiz. Hierher gehören: 
1. Streitigkeiten anläßlich Verweigerung oder Rückzahlung indirekter Steuern. Der 
innere Grund hierfür liegt in dem Umstand, daß die indirekte Steuer unmittelbar auf Grund des 
Gesetzes erhoben wird, und daß sich nicht wie bei der direkten Steuer zwischen den Gesetzesbefehl 
und die Erhebung ein Verwaltungsakt (Heberolle, Veranlagung) schiebt 18. Streitigkeiten über 
direkte Steuern sind dagegegen auf alle Fälle dem ordentlichen Rechtsweg entzogen. 
2. Die ordentlichen Gerichte entscheiden über Statusklagen und auch in Fragen des 
aktiven und passiven Wahlrechts. 
3. Die Streitigkeiten wegen des kleinen Straßenwesensto (petite voirie) gehören nun- 
mehr, soweit die Verpflichtung zur Beseitigung von an solchen Straßen gelegenen vorschrifts- 
widrigen Bauten in Frage kommt, zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte; 
4. die den Gerichten übertragene Entscheidung über die Entlassung einer Person aus einer 
Irrenanstalt (Art. 29 Ges. vom 30. Juni 1834); 
5. die Mitwirkung der Gerichte beim Enteignungsversahren (Gesetz vom 3. Mai 1841), die 
sich indessen auf den Enteignungsausspruch beschränkt und sich nicht auf die Festsetzung der Ent- 
schädigung erstreckt 28. 
v. 30. März 1908, E. (Civ.] 54 S. 198) an, daß das Reich in jedem Rechtsgebiet den Rechtsregeln 
unterworfen ist, welche die dort geltende Gesetzgebung binstchtich des einheimischen Fiskus aufstellt. 
Nach diesen Grundsätzen muß also eine Landesbehörde hinsichtlich der Frage ihrer Zuständigkeit dem 
Reich gegenüber dieselben Grundsätze anwenden, welche für sie maßgebend sind, wenn fie gegen den 
eigenen Staat angerufen werden. (Wegen abw. Ans. vgl. Keetman a. a. O. S. 110.) 
16 Es gehören hierher z. B. Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen zwischen der Verwaltung und 
den Unternehmern öffentlicher Arbeiten und Vesferungen. 
17 v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, S. 650; Leoni 
S. 105; Molitor-Stieve S. XXXIV:; Dalloz, RA90 v. comp. admin. Nr. 6 f., 69 f. 
18 Keetman S. 96; Molitor-Stieve S. XXXV. Es kommen in Frage 6 57 Reichs- 
erbschaftssteuerges. (G. G.E. 77 S. 238), § 6 Landeserbsch. St.Ges., § 49 Reichsstempelges., 8§ 44, 46 
Reichszuwachsst. Ges., § 51 Els.-l. Verkehrsst. Ges. (ogl. O. L.G. Colmar 19. Mai 1908, Elf.-I. Z. 34 
S. 370); ferner Oktroistreitigkeiten wegen unrichtiger Auslegung des Tarifs (O.L.G. Colmar 
23. Jan. 1908, Els.-l. 3. 34 S. 124). Die Zulässigkeit des Rechtsweges ergibt sich hier aus Art. 13 
2l v. 27. frim. VIII: Art. 164 Ver. v. 17. Mai 1809; Art. 81 Ord. v. 9. Nov. 1814; § 16 
Abs. 2 A.G. G.V.G.; vgl. ferner Els.-I. Z. 36 S. 11, 337. Wegen der Rückforderung von Zoll- 
abgaben (Zollvereinsges. v. 1. Juli 1869, in E.-L. eingeführt 17. Juli 1871, § 12; N.G.E. 16 
S. 37; 77 S. 229. 
½½ Bgl. § 9 Verfass. Ges. (Einsprüche gegen die Wahl von Landtagsmitgliedern); § 5 Wahl- 
gesetz (Einwendungen gegen die Richtigkeit der Wählerliste). Ferner Gem.O. 3 38; Ges. v. 15. Juli 
1896 über die Wahlen der Mitglieder der Bezirks- und Kreisvertretungen. 
20 Hinsichtlich des großen Straßen wesens ist die Zuständigkeit der Bezirksräte durch 
Art. IV. Abs. 5 Ges. v. 28. Plur. VIII begründet. Kais. Rat v. 8. Nov. 1902 Nr. 337. Durch 
Art. XII E.G. Str.G.B. war nur in Verbindung mit Art. 161 Code cinstr. crim. die Zuständig- 
keit von dem Bezirksrat auf den Strafrichter übergegangen; mit dem Wegfall des Art. 161 zit. 
durch die Einführung der Str. P.O. ist die Zuständigkeit des Bezirksrats wieder ausgelebt. Vgl. auch 
N.G in Els.-l. Z. 14 S. 302: O.L.G. Colmar, ebenda 25 S. 317; Keetman S. 128. And. Ans. 
Förtsch-Caspar Nr. ö3. 
231 Nachdem die früher für die Beseitigung und die Bestrafung zuständigen Polizeigerichte 
(Art. 161 Code d’instr. crim.) infolge der Einführung des G.V.G. und der Str. P. O. weggefallen 
sind. Vgl. Michgaêölie, Die elsaß-lothr. Landesgesetze usw. zur Ausführung der C.P.O., 2. A., 
S. 166; O.L.G. Colmar v. 28. Juni 1895, Elf.-I. Z. 20 S. 596, 21 S. 506 u. 24 S. 305. 
22 L’expropriation pour cause T’utilité publique s'opère par autorité de justice. Die 
Mitwirkung der Gerichte ist trotz dieses Satzes eine geringfügige. Das Gericht prüft nur die Formen.
	        
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