82 Zweiter Teil. Die Verwaltung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation“ 818
auf ein Zusammenarbeiten angewiesen (Amtshilfe)#. Juristisch bedeutsam wird die Frage der Be-
ziehungen zwischen Justiz und Verwaltung namentlich nach der Richtung, inwieweit eine Be-
hörde an die Akte der anderen gebunden ist. Hier kommt der Unterschied zwischen Tat-
bestandswirkung und Feststellungswirkung oder zwischen „Verbindlichkeit“ und
„materieller Rechtskraft“ zur Anwendung?". Tatbestandswirkung äußert jeder rechtsgeschäftliche)
Staatsakt, der nicht von vornherein nichtig ist (z. B. weil unsittlich); Feststellungswirkung dagegen
äußern nur gewisse staatliche Formalakte (z. B. Scheidungsurteil), die die grundsätzlich unanfechtbare
Feststellung über das Vorhandensein der Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit und Richtigkeit enthalten.
An die Feststellungswirkung in diesem Sinne sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden
(materielle Rechtskraft); aber auch die Tatbestandswirkung ist von erheblicher Bedeutung. So sind
die Gerichte an die vom Ministerium tatsächlich erlassenen Verordnungen gebunden, wofern nur fest-
sieht, daß das Ministerium zum Erlaß derselben zuständig war 35.
IX. Wenn von dem Grundsatze der Trennung der Gewalten gesprochen wird, so wird hierbei
durchgängig nur an die Trennung der Zivilgewalten gedacht. Daß aber auch Kompetenzstreitigkeiten
zwischen der Militär- und der Zivilgewalt eintreten können, wird niemand ernstlich bestreiten
wollen. Solche Kompetenzstreitigkeiten können namentlich bei der Handhabung der Sicherheits-
polizei auftauchen. Grundsätzlich kann der militärische Befehlshaber polizeiliche Befugnisse nach
außen nur zum Schugze militärfiskalischen Eigentums und der Militärpersonen beanspruchen. Wie
jeder Bürger, kann ferner auch eine Militärperson unter gewissen Voraussetzungen zur Festnahme
von Personen schreiten, nämlich einmal bei Notwehr (§§ 227 B.G. B., 54 Str.G. B.) und sodann bei
Ergreifung des Täters auf frischer Tat, aber letzteres nur dann, wenn er fluchtverdächtig ist
oder sich nicht genügend ausweisen kann. (3 127 Str. P.O.) Was dem einzelnen Bürger hier aber
gestattet ist, kann für das Militär unter Umständen eine Dienstpflicht bedeuten?!". über diese Be-
stimmungen hinaus hat auch das Militär gegenüber Zivilpersonen außerhalb des militärischen
Bereichs kein Recht zur Verfolgung oder Festnahme ?7.
Abgesehen von den Fällen des Belagerungszustandes (oben S. 36), kann die Militär-
behörde zur Aufrechterhaltung der Ordnung (also nicht bloß bei Aufläufen, sondern auch bei Ab-
sperrungsmaßnahmen, Feuersbrünsten) nur auf eine Requisition's der Zivilbehörde, d. h. auf
eine förmliche und schriftliche Aufforderung derselben in Tätigkeit treten; die Zivilbehörde wird zu
diesem Schritt erst greisen, wenn sie ihre eigenen Kräfte nicht für ausreichend erachtet. Nur wenn
Gefahr im Verzuge ist und eine Requisition nicht abgewartet werden kann, darf die Militärbehörde
ohne Requisition eingreifen. Zuständig, den militärischen Schutz zu gewähren, sind die General-=
kommandos, bei dringender Gefahr der Garnisonälteste oder Truppenbefehlshaber. In allen Fällen
trifft den militärischen Befehlshaber eine sofortige Benachrichtigungspflicht an die vor-
gesetzte Zivilbehörde, insbesondere an den Statthalter: diese Verpflichtung läßt sich aus dem Rechte
des Statthalters, die in E.-L. liegenden Truppen zu polizeilichen Zwecken zu requirieren, ableiten
21II V. G.).
* *8 Val. z. B. Allgemeine Verf. v. 24. März 1890 und Ergänz. v. 20. Okt. 1911 (Centr. Bl.
S. 311) über die seitens der Gerichte und Staatsanwaltschaften an die Verwaltungsbehörden zu
machenden Mitteilungen. :! Kormann a. a. O. S. 13 f.
36 Vgl. O.L.G. Colmar v. 6. Mai 1899, Elf.-l. Z. 24 S. 506.
36 Vgl. pr. Kab. Order v. 29. Jan. 1881, betr. die Verhaftungen und vorläufigen Festnahmen
durch die Wachen, §§ 3, 9. Ist seit Begehung der Straftat Zeit ohne Verfolgung verflossen, so
kommt das Festnahmerecht nur noch den Polizei= oder Sicherheitsbeamten zu.
I! Bei Zuwiderhandlungen kann Bestrafung nach §§ 132, 239 Str. G.B. erfolgen.
"8 Es ist dies aus der Franz, Verfass. v. 4. Nov. 1848 u. aus dem Gesetze v. 10. Juli 1791,
betr. die Unterhaltung und Einteilung der Kriegsplätze und Festungen, Tit. 1 Art. VI, Tit. 8
Art. XIV. abzuleiten. Die Kab. Order v. 17. Okt. 1820, deren Neuabdruck unter Gegenzeichnung
des Kriegsministers unterm 23. März 1899 verfügt worden ist, und die dem militärischen Befehls-
haber das Recht gibt, ohne Requisition der Zivilbehörde einzugreifen, „wenn diese zu lange zögert,
indem ihre Kräfte nicht mehr zureichen“, hat zwar als militärischer Verwaltungsbefehl Verbindlich-
leit für alle Heeresangehörigen, einerlei, ob ihr Standort in Preußen ist oder nicht, gegenüber der
Zivilbevölkerung Elsaß-Lothringens kann sie aber keine staatsrechtliche Bedeutung beanspruchen.
Maßgebend für diese ist allein das geltende Verfassungerecht und die durch dasselbe sanktionierten
Gesetzes= und Verordnungsbestimmungen. Nach Art. 61 R.V. (vgl. elf.-lI. Ges. v. 23. Jan. 1872
§. 1) sollen in E.-L. die preußischen Militärgesetze eingeführt werden; in der Tat sind auch einige
dieser Gesetze eingeführt worden, so Art. 36 pr. Verf. Urk. v. 31. Jan. 1850, Kgl. Order v. 29. Jan.
1881 (pr. Min. Bl. d. Inn. S. 60) und andere Instruktionen im Anschluß an das pr. Ges. v.
12. Febr. 1850, ferner das pr. Ges. v. 20. März 1837 über den Waffengebrauch des Militärs zur
Ausrechterhaltung der öff. Ordnung. Die erwähnte Kab.Order v. 17. Okt. 1820 ist dagegen nicht
eingeführt worden; sie dürfte übrigens auch für Preußen keine Geltung beanspruchen, weil die in
Frage kommende Materie durch das Gesetz v. 20. März 1837 erschöpfend geregelt ist. Vgl. auch
Laband IV. S. 19 f.; Leoni-Mandel S. 118.